Efeu - Die Kulturrundschau

Korporasi und Lumbung

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06.03.2019. Dezeen, NZZ und SZ freuen sich über den Pritzker-Preis für Arata Isozaki, der so leckere karamellfarbige Doppeltorten backen kann. Die SZ sieht noch lange nicht alle Vorwürfe gegen die Schwedische Akademie geklärt, die in diesem Jahr zwei Nobelpreise vergeben wird. Der Standard besucht das kollektiv Ruangrupa in einem Ruru-Haus. Die Presse lernt vom Opernkomponisten Johannes Maria Staud, dass die Schönheit einer Partitur auch im Schriftbild liegt. ZDNet meldet das Ende von Blueray.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 06.03.2019 finden Sie hier

Architektur

Arata Isozakis Palau Sant Jordi in Barcelona. Foto: Hisao Suzuki / Pritzker Prize

Der Pritzker-Preis geht in diesem Jahr an Arata Isozaki. Auf Dezeen führt India Block mit eindrücklichen Bildern in das Werk des 1931 geborenen japanischen Architekten ein, der so häufig seinen Stil wechselte. In der SZ gefällt Till Briegleb Isozakis fröhliches Spiel mit der Form: "Als etwa in Berlin bei der Star-Architekten-Sammelstelle am Potsdamer Platz Isozakis Volksbank aus der Bauverpackung entlassen wurde, stand dort eine leckere karamellfarbige Doppeltorte mit silbernem Cockpit, die für manchen Kritiker wie ein verspäteter Exzess der Postmoderne erschien." In der NZZ erkennt Hubertus Adam in Isozakis heterogen arrangierten Bauten eine Art kritischen Manierismus, der eher verstöre als versöhne: "Obwohl Isozaki stets die Massivität seiner Bauten artikuliert - Leichtigkeit und Transparenz sind nicht sein Thema -, antizipiert er mit seinen Vorstellungen von Fragmentierung, Dissonanz und Deformation ein architektonisches Denken, das mit dem Dekonstruktivismus assoziiert wurde."
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Film

Schon ein paar Tage alt, aber dennoch von Interesse ist diese Meldung von ZDNet, die gerade durch die sozialen Medien schwirrt: Samsung stellt seine Produktion von BluRay-Playern ein - ein Gebiet, auf dem der koreanische Hersteller einst Pionier gewesen ist. Wird damit das Ende von BluRay und physischen Medien eingeläutet? Steven J. Vaughan-Nichols  ist sich sicher: "Blu-Ray ist tot. Es geschieht nicht oft, dass der führende Erstausrüster der Industrie sich aus einem Geschäft zurückzieht, aber genau das hat Samsung getan. Nach einer Marktanalyse der NPD-Group hält Samsung 37 Prozent des Marktes, gefolgt von Sony mit 31 und LG mit 13 Prozent. Vier der zehn auf Amazon am besten verkauften Blu-Ray-Player, darunter die Spitzenposition, sind von Samsung. Mit ihrem Niedergang folgt die Blu-Ray der Laserdisc, Betamax und VHS-Videorekordern in den Gebrauchtwarenmarkt. DVDs könnten sich dem bald anschließen. In einem Gespräch mit Variety sagte Ted Sarandos, lange Zeit Leiter der inhaltlichen Ausrichtung von Netflix, wo es noch immer drei Millionen DVD-Kunden gibt: 'Wir haben nie auch nur eine Minute investiert, um das DVD-Geschäft zu retten."

Weiteres: In der taz ärgert sich Jan Feddersen über die TV-Serie "Charité", die das nationalsozialistische Deutschland zum Hintergrund einer Krankenhausschmonzette trivialisiere: "Liest man in den Zeitungen nach, wie die Macher*innen von 'Charité' ihre Serie angelegt haben, ist viel guter Wille zu vernehmen. Selbst Ulrich Noethen, der Darsteller des Ferdinand Sauerbruch, wird, als sei er ein Historiker, einvernommen. Er ist Schauspieler, in 'Charité' wie all seine Mitspieler*innen ohne ambivantes Rollenspiel, der in der Zeit neulich zu Protokoll gab, er habe viel über das Vorbild für seine Rolle gelesen und Verblüffendes an Erkenntnis gewonnen: 'Interessant fand ich, dass Sauerbruch wohl eine bipolare Störung hatte.'"

Besprochen werden Barry Jenkins' "Beale Street" (SZ, FAZ, die SZ hat außerdem mit dem Regisseur gesprochen), Jacques Audiards "The Sisters Brothers" mit John C. Reilly und Joaquin Phoenix (ZeitOnline, FAZ) und Veit Helmers "Vom Lokführer, der die Liebe suchte …" (taz).
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Literatur

Horace Engdahl verlässt die Schwedische Akademie und 2019 werden nun auch mit dem Segen der Nobelstiftung zwei Literaturnobelpreise verliehen: "Die Akademie hat das Vertrauen der Nobelstiftung zurückerobert", schreibt dazu Aldo Keel in der NZZ. Auch SZ-Redakteur Thomas Steinfeld sieht damit die Krise der Akademie beendet - zumindest dem offiziellen Anschein nach. "Aber etliche Vorwürfe sind ungeklärt, angefangen bei der privaten Vorteilsnahme bei der Nutzung von Wohnungen, die der Akademie gehören, über die Bevorzugung von Freunden bei der Vergabe kleinerer Literaturpreise, die von der Akademie vergeben werden, bis hin zu Vergehen gegen das Steuerrecht, die möglich sind, weil die Akademie als aus feudalen Verhältnissen überkommene Institution den Organen eines bürgerlichen Staates nur bedingt Einsicht gewähren muss." Auch "der Verlust an Autorität" sei erheblich.

Weitere Artikel: Gregor Dotzauer ist im Tagesspiegel guter Dinge, was die Zukunft der New York Review of Books betrifft, die vor wenigen Tagen mit Emily Greenhouse und Gabriel Winslow-Yost ihre neue Doppelspitze präsentierte.

Besprochen werden unter anderem Günter Kunerts bereits in der DDR verfasster, aber erst jetzt zum 90. Geburtstag des Schriftstellers veröffentlichter Roman "Die zweite Frau" (Tagesspiegel, FAZ, SZ), Siri Hustvedts "Damals" (FR), Jonathan Lethems "Der wilde Detektiv" (Freitag), Dominique Goblets und Kai Pfeiffers "Bei Gefallen auch mehr" (Tagesspiegel), Jaroslav Rudišs "Winterbergs letzte Reise" (Standard) und Julian Barnes' "Die einzige Geschichte" (SZ).

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Kunst

Laure Prouvost: AM-BIG-YOU-US LEGSICON. Bild: MHKA

Vergnügt betrachtet FAZ-Kritiker Georg Imdahl das lustvolle Chaos, das die französische Künstlerin Laure Prouvost im Museum van Hedendaagse Kunst in Antwerpen anrichtet: "Ein Vogel zwitschert auf einem Brunnen. Schnitt. Pflanze in sattem Grün. Schnitt. Zwei Zeigefinger berühren sich. Schnitt. Ein Mund im Close-up atmet. Schnitt. Blauer Himmel mit schneeweißen Wolken. Schnitt. Fisch im Wasser mit Brombeere. Und so weiter. Dazu waberndes Geflüster. Semantische Widersprüche und Paradoxien, Übersetzungsprobleme aller Art kleidet Prouvost zudem in die bildliche Form von Wandteppichen oder inszeniert sie als konzeptuelle Kunst, um diese im selben Atemzug zu persiflieren. Wenn man etwa ein kleines Bild hoch oben an der Wand anschaut, ist es schon zu spät: 'Don't look up' steht da in nüchternen Lettern."

Im Standard zeichnet Anne Katrin Feßler noch einmal ein sehr schönes Porträt des indonesischen Kunstkollektivs Ruangrupa, das die Documenta 15 leiten wird und bei dem alle Kunst in einem gemeinsamen Raum beginnt: "In der Nähe zur lokalen Bevölkerung wuchs das Bewusstsein für lokale Notwendigkeiten. Soziale Aktivitäten und Nachbarschaftsprojekte mischten sich mit jenen des Kunstraums. Die Kunst wurde zum Teil der Gesellschaft. Die Aussicht auf Bürgernähe und Teilhabe, auf korporasi und lumbung, war auch das, was die Findungskommission in Kassel aus Freude 'auf den Tischen tanzen' ließ. Und egal, wo das Kollektiv aufschlägt, zunächst wird ein Ruru-Haus eingerichtet."

Weiteres: Anlässlich zweier Ausstellung in Rom erinnert Thomas Steinfeld in der SZ an den in Auschwitz ermordeten Archäologen und Kunsthändler Ludwig Pollack. Besprochen werden die schöne Pierre-Bonnard-Ausstellung in der Londoner Tate Modern (NZZ), die Ausstellung "Land_Scope" mit Fotoarbeiten von Roni Horn bis Thomas Ruff aus der DZ Bank Kunstsammlung im Münchner Stadtmuseum (FAZ).
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Bühne

Besprochen werden ein Gastspiel der portugiesischen Choreografin Vera Mantero im Tanzquartier in Wien ("Pflichttermin!", ruft Helmut Proebst im Standard), Jette Steckels Zeiten des Aufruhrs" am Deutschen Theater Berlin (SZ), eine laut Slyvia Staude "scharf geschnittene" Tanzversion von Shakespeares "Othello" in Kaiserslautern (FR) und Bela Bartoks "Herzog Blaubarts Burg" am Staatstheater Wiesbaden (FR).
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Musik

Auch beim Komponieren wird längst am Computer gearbeitet - mit wenigen Ausnahmen, die Daniela Tomasovsky für die Presse gesucht hat. Darunter: der Opernkomponist Johannes Maria Staud, für den die haptische Arbeit mit Hand und Papier eine Frage der Schönheit und Anmutung ist. "Für mich ist das handschriftliche Schreiben wie ein Fixieren auf einer Leinwand", erklärt er. "Was bei Stauds Partituren auffällt, ist die extreme Sorgfalt, das ästhetische Schriftbild. 'Ich mache zuerst eine Rohfassung, die ich dann noch in eine Schönschrift übertrage. Dieser Vorgang ist für mich noch mal ein kreativer Prozess, ich ändere Dinge in der Schönschrift noch einmal ab. Vor allem bei größer besetzten Werken ist die Schönschrift natürlich ein zeitintensiver Prozess, den ich aber liebe', sagt Staud."

Weitere Artikel: In der NZZ gratuliert Jürg Zbinden Motown zum 60-jährigen Bestehen. Andreas Hartmann hat sich für den Tagesspiegel mit Modeselektor getroffen. Für die taz plaudert Dirk Schneider mit dem schottischen Musiker James Yorkston, der gerade ein neues Album veröffentlicht hat. Ein aktuelles Video:



Besprochen werden das neue Album von Solange (Pitchfork, mehr dazu hier) und neue Popveröffentlichungen, darunter das neue Album der Foals, von denen SZ-Popkolumnist Julian Dörr zwar nicht gar so viel hält, deren "beeindruckenden Weg der Erschlaffung" er ihnen aber doch zugute hält.

Außerdem präsentiert das Logbuch Suhrkamp die 65. Ausgabe von Thomas Meineckes "Clip//Schule ohne Worte":

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