Efeu - Die Kulturrundschau

Ein höchst goutierbares Tellergericht

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27.06.2014. Der deutsche Rap ist 'homophob, aufgeblasen und mittelschichtig', klagt Sookee im Freitag. Die taz zielt mit Herlinde Koelbl auf deutsche Kühe, amerikanische Plastiksoldaten und Figuren mit Backenbart. Und die Welt ist beim Musiktheaterfestival "Infektionen" nicht satt geworden.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 27.06.2014 finden Sie hier

Bühne

Rundum begeistert ist Niklaus Hablützel in der taz von Katie Mitchells beim Musiktheaterfestival "Infektionen!" in Berlin aufgeführter Inszenierung einer Kombination aus Samuel Becketts "Footsfalls" und Morton Feldmans Oper "Neither": "Das Festival [hat] nichts Geringeres geliefert als den einsamen Höhepunkt der Berliner Opernsaison, nämlich die vollkommene Einheit von Musik und Schauspiel, und damit auch die Vision eines radikalen Musiktheaters, das alles hinter sich lässt, was wir an Konventionen und Ritualen kennen."

Weniger begeistert zeigt sich Kai Luehrs-Kaiser in der Welt, der in Salvatore Sciarrinos "Macbeth"-Inszenierung gleich das Problem der Neuen Musik im Allgemeinen zu erkennen glaubt: Hier "sind keine appetitüberfordernden Riesenpizzen zu erwarten. Alles bleibt adrettes, höchst goutierbares Tellergericht. Was den erfreulichen Nebeneffekt hat, sein Publikum nicht zu vergrätzen, sondern es bei der Hand zu nehmen und es auf die - jenseits aller Dogmen anpassungswillige - Privatmoderne seines Schöpfers einzuschwören."

Außerdem: In der Berliner Zeitung erklärt der Choreograf Boris Charmatz sein Projekt eines Musée de la danse, das er als "dritten Ort" des Tanzes neben Tanztheatern und Tanzschulen verstanden wissen will. Marius Nobach staunt in der SZ bei der Begegnung mit dem für seine Protesthaltung bekannten Dramatiker Oliver Kluck, wie umgänglich dieser doch ist.

Besprochen werden Kornél Mundruczós bei der Theaterbiennale in Wiesbaden aufgeführtes Stück "Dementia" (FR) und Kadir "Amigo" Memis" und Jecko Siompos am Hebbeltheater in Berlin aufgeführtes Tanzstück "Cabdance" (taz).
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Kunst















Ingo Arend besucht für die taz die Ausstellung "Targets" im Deutschen Historischen Museum, für die sich die Fotografin Herlinde Koelbl mit militärischer Ausbildung befasst hat. Dabei gerät der Kritiker mitunter auch ins Schmunzeln: "So ernst sie ist, transportiert die Schau doch einen Moment surrealer Komik. Etwa wenn man sieht, wie in Deutschland auch Kulissen gefleckter Kühe als Zielscheibe benutzt werden. Sie demonstriert einen aufschlussreichen Wandel des Feindbildes. Schossen amerikanische Soldaten bis vor kurzem noch auf einen grünen Plastik-Iwan mit rotem Stern auf dem Helm, stehen jetzt überall Figuren mit Backenbart und Pali-Tuch zum Abschuss bereit. Hollywood-Designer haben der US-Armee detailgetreu ein arabisches Dorf samt Moschee in der Wüste entworfen." (Bild: Herlinde Koelbl, aus dem Pressebereich des DHM.)

Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach stellt Fotografien deutscher Schriftsteller aus - eine tolle "Lockerungsübung" findet Andreas Breitenstein in der NZZ: "Denn in Bezug auf Sujets und Intention zeigen die Bilder alles Mögliche - vom touristischen Hotspot über das frühe "Selfie" mit Landschaft bis zum "objet trouvé" beim Schlendern durch die Metropole, von der Dokumentation eigener Zeitzeugenschaft über die Meditation des Fortseins bis zum Glück des unbedachten Schnappschusses."

Weitere Artikel: In der Berliner Zeitung ärgert sich der Kunsthistoriker Adrian von Buttlar über die Ausschreibung eines Wettbewerbs zum Umbau des Inneren der Berliner St.-Hedwigs-Kathedrale: Dies bedeutete "faktisch die Zerstörung der die Kathedrale heute prägenden Denkmalschicht der Fünfziger Jahre." Ingeborg Ruthe besucht für die Berliner Zeitung das nach Umbau neueröffnete Mauritshuis in Den Haag, durch das im Tagesspiegel Anna Pataczek führt: "Hier hängen wirklich besonders schöne Schätze, in einer intimen Umgebung, in der man sie stundenlang betrachten, ja sich regelrecht in sie vergucken kann."

Besprochen wird eine Ausstellung mit Bildern des Comiczeichners Boris Aljinovic auf Schloss Neuhardenberg (Tagesspiegel).
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Film

Heute beginnt das Filmfest in München: Susan Vahabzadeh von der SZ wünscht sich bei Jean-Pierre Jeunets Eröffnungsfilm "Die Karte meiner Träume" einen Fußnoten-Appendix. Ihr Kollege Tim Neshitov hat sich Alberto Venzagos Dokumentarfilm "Eine gewisse Verrücktheit" über den umstrittenen Dirigenten Valery Gergiev angesehen. In den akutesten Fragen schweigt sich dieser allerdings aus: "Man erfährt aus dieser Doku nichts Privates über Gergiev, nichts über sein Verhältnis zu Putin. Das Rätsel Gergiev wird gelöst, indem es (...) einfach beiseitegefegt wird. Durch Musik." Bei kino-zeit.de freut sich Joachim Kurz auf "ein ziemlich unaufgeregtes Festival", das wie ein Best-Of der großen A-Festivals wirkt.

Besprochen werden John Maloofs Dokumentarfilm "Finding Vivian Maier" (Jungle World, Tagesspiegel, FR, unsere Berlinale-Kritik), die DVD von "Am Abend des folgenden Tages" mit Marlon Brando (kino-zeit.de), Steve Brills Komödie "Mädelsabend" (Tagesspiegel) und Martin Povosts "Violette" (Tagesspiegel).
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Literatur

Der Lyriker Norbert Hummel reist für die NZZ nach Rotterdam zum Festival Poetry International, genießt Seeluft, kulinarische und architektonische Besonderheiten, und hört, wenn er kurz Zeit hat, auch Gedichten aus China und Kanada, Norwegen, Südafrika oder dem Oman zu. Ralf Hutter resümiert in der Jungle World den Comicsalon in Erlangen, wo "die Trennung zwischen Feuilleton und traditionellen Comicfans auf der einen und dem Massengeschmack auf der anderen Seite (...) oft zu spüren" war.

Besprochen werden unter anderem Gunnar Deckers Biografie über den Dichter Georg Trakl (FR) und Philipp Meyers "Der erste Sohn" (SZ).
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Design

Das nächste Frühjahr wird entschieden bunter, wenn man den Entwürfen von Etro fürs nächste Jahr auf den gerade laufenden Männerschauen in Mailand glauben darf, das Blog soulartistmanagment berichtet. Hier auch die jüngste Kolumne von style.com zu den Männerschauen.
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Stichwörter: Mailand, Männermode

Musik

Im Freitag rechnet die Rapperin Sookee nach Strich und Faden mit der hiesigen Hiphop-Szene ab: Zu männlich, zu homophob, zu aufgeblasen, zu mittelschichtig - und dort, wo Hip-Hop politisch bewusst auftritt, zu weiß und zu akademisch: "Rap ist nicht Spiegel der Gesellschaft, Rap ist Teil der Gesellschaft. Rap macht die genannten Machtverhältnisse sichtbar, indem er sie größtenteils unkritisch reproduziert. Ich brauche keine Kultur, die mich daran erinnert, dass es sexualisierte Gewalt gibt, indem sie sexualisierte Gewalt völlig distanzlos abfeiert und das als Unterhaltung verkauft. Mich macht das wütend."

Jens Balzer schmachtet in der Berliner Zeitung beim neuen Album von Tom Krells Projekt How to Dress Well, dem er schon auch, weil Krell Philosophiedozent ist, eine ganze Subjektphilosophie der Liebe unterjubelt: "Die innere Zerrissenheit und Distanz zu sich selbst, die seine Musik bisher beherrschte, hat Krell mit diesem neuen, überschwänglich-romantischen Pop ebenso überwunden wie seine Fixierung auf Nostalgie und Vergangenheit. Doch dies nur um den Preis, dass die innere Zerrissenheit seines Ich angesichts romantischer Intensitäten umso stärker hervortritt und ihn quält." Zuvor wurde das Album auch schon auf Pitchfork in höchsten Tönen gelobt. Auf Soundcloud gibt es Hörproben, darunter diese:



Im Poptagebuch für den Rolling Stone wünscht sich Eric Pfeil endlich wieder mehr Fehler im grassierenden, aber geleckt auftretenden Revivaltrend: Er empfiehlt "zum Beispiel Sixties-Revival-Musik mit Achtziger-Schlagzeug spielen. Oder, noch besser: aus jeder Band das stilsicherste Mitglied rauswerfen und durch einen oder zwei Typen mit Richard-Marx-Frisuren ersetzen."

Besprochen werden das Album "Batuk Freak" der brasilianischen Rapperin Karol Conka (taz), Will "Quantic" Hollands Album "Magnetica" (NZZ) und "Synchronizitätsmusik" von Brian Eno und Karl Hyde (Welt). Außerdem: Viele neue Musikvideos bei Nerdcore.
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