Efeu - Die Kulturrundschau

Sie stand nicht zur Verfügung

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28.03.2018. Die NZZ bewundert die vielen Nuancen von Weiß in den Bildern Foujitas. SZ und Tagesspiegel verfolgen die Debatte um Eugen Gomringers "Avenidas"-Gedicht mit zunehmender Verzweiflung. Gegen die Zumutungen der Gegenwart plädiert die Opernregisseurin Barbara Beyer für den Gesang als Existenzweise. Auf ZeitOnline bekundet Viktor Martinowitsch, dass auch er Armando Ianuccis in Russland verbotene Comic-Verfilmung "The Death of Stalin" nicht komisch findet. Außerdem trauern die Feuilletons um Stéphane Audran, die kühle Blonde aus den Filmen Claude Chabrols.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 28.03.2018 finden Sie hier

Film


Stand nicht zur Verfügung: Stéphane Audran in Chabrols "Die untreue Frau" mit Michel Bouquet.

Die französische Schauspielerin Stéphane Audran ist tot. Sie starb gestern mit 85 Jahren. In der Welt würdigt Hanns-Georg Rodek die kühle Blonde, die mit ihrem Mann Claude Chabrol zusammen 24 Filme drehte, als den "Albtraum der Bourgeoisie". Auch in der FAZ weiß Claudius Seidl ihre besonderen Reize zu schätzen: "Stéphane Audran war nicht unbedingt die Französin, auf welche sich die Sehnsucht und das Begehren des Publikums einigen wollte. Sie konnte enorme erotische Energien auf der Leinwand entfesseln, aber zugleich hatte sie etwas Respekteinflößendes, ja Furchterregendes: Sie stand nicht zur Verfügung, noch nicht einmal den Blicken - und ganz egal, welche Rolle sie spielte: Ihre männlichen Partner wirkten immer schwächer neben ihr." In Libération trauert Guillaume Tion um ihre distanzierte Eleganz.

In Russland wurde Armando Iannuccis Comicverfilmung "The Death of Stalin" prompt verboten und geächtet (mehr dazu hier), jetzt läuft die Satire rund um Stalins zu spät bemerkten Tod auch hierzulande an. Ärgerlich findet es Andreas Busche im Tagesspiegel vor diesem Hintergrund, "dass sich Iannucci weder für das Spezifische des Stalin-Apparats noch für die systemischen Gemeinsamkeiten mit dem Putin-Regime interessiert". Der Film biete lediglich "eine Typologie politischer Speichellecker." Gar nicht gut unterhalten verlässt Viktor Martinowitsch den Kinosaal und legt im Freitext-Blog auf ZeitOnline dar, warum der Film in Russland verboten ist (Putin sieht Stalin als Bezugsgröße), im deutlich sowjetnostalgischeren Belarus hingegen nicht (Minsk wolle sich gegenüber Russland als unabhängig erweisen). Doch was hält er dem Film selbst vor? "Möglicherweise ist 'The Death of Stalin' für britische Zuschauer und Zuschauerinnen, deren Väter und Großväter den stählernen Geschmack in Erwartung einer unmotivierten nächtlichen Verhaftung nie kennengelernt haben, ja tatsächlich ein grandioser Film. Ich habe ihn mit stockendem Herzen angeschaut. Mir war nicht nach Lachen zumute."

Besprochen werden Steven Soderberghs auf einem iPhone gedrehter Psychothriller "Unsane" (SZ, unsere Kritik hier), Dennis Gansels Neuverfilmung von "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" ("Die Bilder sind schöner als die Dialoge intelligent", winkt Jürgen Kaube in seiner FAZ-Besprechung ab) und die ARD-Verfilmung von Oliver Storz' Roman "Die Freibadclique" (FAZ).
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Kunst


Foujita: Youki mit Katze, 1923. Foundation Foujita.


In der NZZ freut sich Peter Kropmanns über die Schau, die das Pariser Musée Maillol dem japanischen Maler Foujita widmet. Er war 1913 nach Paris gekommen und verließ die Stadt erst wieder 1931, als der Tanz auf dem Vulkan vorbei war: "Herzstück der Schau und einen künstlerischen Höhepunkt stellt ein großes Ensemble weiblicher Akte dar, hinter denen Vorbilder wie Giorgione und Velazquez stehen, aber auch Modigliani und Pascin. Foujita versteckte Reminiszenzen an Bilder von Vorgängern und Zeitgenossen keineswegs. Was seine Bilder eigenständig machte, ist ihre oft reduzierte Palette, das spezifische Grisaille, das er entwickelte: etwas Braun, wenig Schwarz, viel Weiß in allen Nuancen, manchmal glänzend, oft matt, dabei schimmernd und strahlend."

Weiteres: Die New Yorker Kunstwelt hat eine neue Attraktion, erzählt Jana Janika Bach in der taz: Das von dem Sammlerpaar Nancy Olnick und Giorgio Spanu gegründete Magazzino Italian Art in Upstate New York. Die erste Ausstellung ist der Turiner Galeristin Margherita Stein gewidmet, einer Wegbereiterin der Arte Povera. Im FR-Interview mit Ingeborg Ruthe spricht die neue Direktorin des Martin-Gropius-Baus, Stephanie Rosenthal, über ihre Pläne für das Haus. In der Welt berichtet Marcus Woeller von Michael Rakowitz' Projekt, antike Raubkunstwerke aus dem Irak auf dem Trafalgar Square zu rekonstruieren.

Besprochen werden die große Schau zu Francis Bacon, Lucian Freud und anderen "All Too Human" in der Londoner Tate Modern (Standard) und eine Ausstellung des Linzer Klemens Brosch im Belvedere (Standard).
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Literatur

Avenidas, der Tragödie letzter Teil? Auf der Seite drei der SZ zeigt sich Hilmar Klute entsetzt über die "Diskussion" mit Eugen Gomringer in der Alice-Salomon-Hochschule. Sein Fazit: "Schon richtig, dass diese Debatte den Studentinnen und Studenten rasch um die Ohren geflogen ist. ... Wer am Montagabend im Max-Liebermann-Haus saß, bestaunte vor allem die bizarre Inszenierung einer kompletten Überforderung. Eine Prorektorin, der das rhetorische Geschepper einer im Angstmäntelchen der Anonymität tapfer Redezeit beanspruchenden AStA-Vorsitzenden sichtbar unangenehm war. Und ein Lyriker, der mit jeder verstreichenden Minute immer tiefer in fassungsloses Schweigen versank." Welt-Autor Andreas Rosenfelder wähnte sich "im Berghain für besorgte Bildungsbürger". Auf Facebook berichtet Nora Gomringer, Eugen Gomringers Tochter, unter anderem von ihren Reisekosten - und dass die Diskussion "das ganze Geld nicht wert war".

Weitere Artikel: In der NZZ greift Paul Haas Kritik auf, die sich in Italien ein wenig genervt zeigt vom Antimafia-Autor Roberto Saviano und seinem weltweiten Multimedia-Imperium. Petra Pluwatsch plaudert für die FR mit der schottischen Krimi-Autorin Val McDermid. Tilman Krause berichtet in der Welt vom Eröffnungsprogramm des Literaturhauses Berlin unter neuer Leitung.

Besprochen werden unter anderem Roberto Savianos Mafiaroman "Der Clan der Kinder" (ZeitOnline), Martin Walsers Brief-Roman "Gar alles" (FR), Luca D'Andreas Krimi "Das Böse, es bleibt" (Standard) und Benjamin von Stuckrad-Barres neue Textsammlung "Ich glaub, mir geht's nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen" (SZ).
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Bühne

Erst das Regietheater, jetzt die #Metoo-Bewegung - nie geht es um Fragen der Ästhetik. Doch "dem alten engagierten Gestus ist sozusagen der Funke des Unerhörten abhandengekommen", meint die Opernregisseurin Barbara Beyer in der Zeit. Für die Oper schwebt ihr eine Erneuerung vor: "Vielleicht mit einem Zurück zur Musik. Vielleicht gelingt es der Regie, den Gesang in der Oper wieder ins Recht zu setzen und den Zustand des Außer-sich-Seins im Akt des Singens solcherart zuzulassen, dass Unverstelltes, Entwaffnendes, Rasendes, ja Entgleisendes zutage tritt. Gegen allen Perfektionismus, gegen die glatte Oberfläche und das Makellose der digitalen Produktion sollten sich die Sänger auf der Bühne wieder als Persönlichkeiten behaupten. Selbst auf die Gefahr hin, dass die Stimme bricht, hässlich klingen mag oder spröde - er/sie sollte mehr als nur hohe Artifizialität zu Gehör bringen. Indem er/sie an Grenzen geht, sich verausgabt oder bis zur Erschöpfung selbst überbietet, indem er/sie zu scheitern bereit ist, vergegenwärtigt sich das Genre. Gesang als Existenzweise und Existenzfrage."

Besprochen werden Puccinis "Tosca" in Salzburg (deren plakative Inszenierung selbst Sopranistin Anja Harteros nicht retten kann, wie Eleonore Büning in der NZZ schreibt),  Herbert Fritschs "Null" an der Berliner Schaubühne (SZ, taz), Jossi Wielers Donizetti-Inszenierung "Don Pasquale" an der Oper Stuttgart (FR), die Berliner Premieren von "Ritter Blaubart" an der Komischen Oper und Verdis "Falstaff" an der Staatsoper (FAZ).
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Musik

Elise Graton freut sich in der taz über die Wiederveröffentlichung der ersten zwei unter dem Projektnamen Heldon veröffentlichten Space-Rock-Alben von Richard Pinhas auf dem Label Bureau B: "Die durch synthetische Filter gewanderten Gitarrenloops wirken hypnotisch, außerordentlich beruhigend und beschwören Bilder unbekannter Planeten und fremder Welten herauf. Das klingt nach wie vor futuristisch." Mit solchen Klängen wollte er "die Welt verändern. Seine Debütsingle aus dem Jahr 1972, 'Ouais, Marchais, Mieux qu'en 68' hieß ursprünglich schlicht 'Le voyageur' (Der Wanderer). Benannt war sie nach einem Auszug aus Nietzsches 'Menschliches, Allzumenschliches'. Vor psychedelisch orchestralem Hintergrund wird der Text von niemand Geringerem als Gilles Deleuze eingesprochen."



Mit einem 30-stündigen Konzert im Kraftwerk Berlin ist die Berliner Maerzmusik zu Ende gegangen. Mitunter "dämmert das Publikum gut belullt vor sich hin", berichtet Volker Lüke im Tagesspiegel, der sich um 6 Uhr morgens am "Blubbern in Schönheit" erfreut, das die japanische Ambientkünstlerin Tomoko Sauvage kredenzte. Jens Uthoff trieb das in Wasserschalen bewerkstelligte "Geblubber" indessen zur Toilette, bekennt der taz-Kritiker in seiner Chronik einer euphorischen Ermüdung. Doch nach dem langen Klangmarathon steht ein beglücktes Fazit: "Das Hören, nichts als das Hören stand im Vordergrund."

Weitere Artikel: Der Fanzine-Szene geht es prächtig, meldet tazlerin Fatma Aydemir nach ihrem Besuch des Feminist ZineFests in New York. Für die SZ plaudert Martin Pfnür mit dem Münchner Elektro-Duo Schlachthofbronx. Elena Witzeck porträtiert in der FAZ den Jazzpianisten Tigran Hamasyan, der am Wochenende in Hamburg auftritt.

Besprochen werden das neue Album von Joan as Police Woman (Standard), ein Auftritt von Joan Baez (FR) und neue Popveröffentlichungen, darunter das neue Album "New Material" der Preoccupations (SZ).
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