Efeu - Die Kulturrundschau

Eine Ich-Ich-Ich-Welt

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26.09.2018. Im Guardian fragt Kunstkritiker Jonathan Jones seine deutsche Kollegen, was sie bitte an der kaltherzigen Pornografie des Martin Eder so toll finden. Die FAZ feiert mit Vasarely die Rückkehr der Siebzigerjahre-Kunst in die Museen. In der SZ erzählt Terry Gilliam von 25 Jahren katastrophaler Produktionsgeschichte seines Cervantes-Epos "The Man Who Killed Don Quixote". Auf ZeitOnline ärgert er sich über die  Spießigkeit der Öffentlichkeit. Die Jungle World huldigt dem Krimi-Schriftsteller Cornell Woolrich.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 26.09.2018 finden Sie hier

Kunst

Victor Vasarely: Reytey, 1968. Bild: Städel Museum Frankfurt

Das Frankfurter Städel Museum zeigt die Arbeiten des ungarisch-französischen Künstlers Victor Vasarely. In der FAZ freut sich Stefan Trinks darüber sehr, denn nicht nur Op-Art, sondern die Kunst aus den siebziger Jahren überhaupt sei praktisch ganz aus den Museen verschwunden: "Immer wieder erzeugt Vasarely Sinnesempfindungen durch geometrische Mittel, führt das Auge in die Irre. Viele Bilder wirken wie vorweggenommene, sich psychedelisch auswölbende Zauberwürfel, die dann in den Siebzigern von seinem Landsmann Ernö Rubik umgesetzt wurden, und tatsächlich wirkt schon die ausgestellte Arbeit 'Kroa' von 1967 aus sternförmig gestapelten Aluminiumkisten wie ein solcher, jeweils in der Seitenmitte ausgezogener Spielwürfel. Josef Albers' endlose Bauhaus-Hommagen an das Quadrat kehren damit bei Vasarely gewissermaßen in 3D-Variationen zurück, nicht ohne eingebaute Untiefen."

Damien Hirst stellt in seiner Newport Street Galerie den deutschen Maler Martin Eder aus, im Guardian traut Jonathan Jones seinen Augen nicht: Diesen Maler hat die deutsche Presse immer wieder gefeiert? Gut, räumt Jones ein, er hat ungeheure malerische Fertigkeiten. Aber was macht er damit in seinen Bildern? "Soweit ich sehen kann, objektivieren und sexualisieren sie junge Menschen. Gibt es da eine kunstsinnig ausgefeilte Rechtfertigung, die mir entgangen ist? Vielleicht müssen Sie es sich selbst ansehen. Ich glaube nicht, dass Kunst zensiert werden sollte. Aber ich muss es nicht mögen. Und Eders Schmiererein sind gefühlskalte Beispiele von brutaler Pornografie, sie reduzieren Malerie zu einer Photoshop-Dusche aus Hass."

Besprochen werden eine tolle Ausstellung Weltenbauers Gerd Schmidt Vanhove im Sprengel Museum in Hannover (den Till Briebleb in der SZ als eine Art Schamanen des Sonderlichen feiert) und eine Schau zu den beiden Künstler Emil Filla und Ludovit Fulla in der Slowakischen Nationalgalerie in Bratislava (FAZ).
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Film



Alle wollen mit Terry Gilliam reden, dessen "The Man Who Killed Don Quixote" nun nach einer katastrophalen Produktionsgeschichte von 25 Jahren endlich ins Kino kommt (aktuelle Besprechungen in SZ und taz, weiteres gestern im Efeu). Der Film habe ihn "komplett unterjocht", erklärt Gilliam in der SZ. "Cervantes' Ritterlegende fand ich immer faszinierend, weil ich das Gefühl habe, dass in mir ein bisschen was von Quixote, aber auch einiges von seinem Assistenten Sancho Panza steckt. Aber ich hätte nicht gedacht, dass dieser Film mein Mount Everest werden würde. Normalerweise feiert man am Set ein Bergfest, wenn die Hälfte der Dreharbeiten geschafft sind. Diesmal haben wir schon nach dem sechsten Tag eine Riesenparty gefeiert, weil wir damit schon einen Tag mehr geschafft hatten als beim ersten Anlauf." Über diesen ersten Anlauf entstand 2002 die sehr sehenswerte Dokumentation "Lost in La Mancha".

Im ZeitOnline-Gespräch beklagt sich Gilliam, einst Mitglied der Komikertruppe Monty Python, die vor nichts und niemandem zurückschreckte, darüber, wie "spießig und vorsichtig die Leute geworden sind. Eine Ich-Ich-Ich-Welt. Die Menschen werden immer dünnhäutiger. Das schränkt die Comedy ein ... Wir leben in einer Zeit, in der das Wort an sich schon das Verbrechen ist - nicht das, was damit gemeint war. Das führt dazu, dass Leute nicht richtig kommunizieren. Sie benutzen Euphemismen oder vermeiden es, bestimmte Dinge zu sagen." (Ob Gilliam, der im Original "Me-Me-Me-World" gesagt haben dürfte, nicht vielleicht doch eher auf Mr. Beakers "Mi-Mi-Mi"-Jammern aus der der Muppet-Show anspielte, sei einmal dahingestellt.) Den Standard-Lesern gibt Gilliam in Sachen Absurdität Lebensweisheiten mit auf den Weg: "Wenn man die Absurdität nicht akzeptiert, hat man unter Garantie ein erbärmliches Leben. Es ist eine großartige Überlebenstechnik ... Wir leben heute in einer Ära der Heuchelei. Die Wahrheit ist nichts mehr wert. Orwell pur, George wäre so zufrieden."

In der NZZ denkt Hans-Ulrich Gumbrecht über Hitlers auf den ersten Blick Sympathie für Disneyfilme und insbesondere Disneys erstem Animationslangfilm "Schneewittchen und die Sieben Zwerge" nach. In der pseudo-sozialen Sozialpolitik der Nationalsozialisten, in der Milde nur für jene vorgesehen war, die dem Machtbedürfnis der Elite nicht ins Gehege kamen, und in Disneys Selbstkonzeption als pater familias eines Konzerns, in dem Angestellte umsorgt wurden, solange sie auf eigenständige Gedanken bis auf weiteres verzichteten, entdeckt Gumbrecht Parallelen: "Das schöne Schneewittchen musste und konnte sich ja auf den Prinzen verlassen, der sie wachküsste und in die Welt der Paläste zurückführte. Aber die niedlichen Zwerge würden für immer Zwerge bleiben und deshalb eine - risikofrei herablassende - Sympathie verdienen."

Weitere Artikel: Im Tagesspiegel-Gespräch erklärt Künstler John Bock, warum er sich aufs Filmemachen verlegen will. In der taz empfiehlt Carolin Weidner eine Reihe mit Peter Voigts Dokumentarfilmen im Berliner Zeughauskino.

Besprochen werden Warwick Thorntons Australo-Western "Sweet Country" (taz), Léa Mysius' "Ava" (taz), Eva Trobischs Vergewaltigungsdrama "Alles ist gut" (Berliner Zeitung) und die TV-Verfilmung von Lutz Seilers Hiddensee-Roman "Kruso", die Matthias Dell im Dlf Kultur für ziemlich verwurstet hält.
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Design

Mitunter skeptisch, schlussendlich aber doch versöhnt liest NZZ-Kritiker Wolfgang Hellmich Daniel Martin Feiges Plädoyer für eine Philosophie des Designs: "Wer auf das Design der Dinge achtet, lässt sich gerne verzaubern. Das Buch schärft dafür die Sinne. Es ist eine Verteidigung der Schönheit in einer Zeit, die immer weniger Sinn für das Besondere hat."

Marion Löhndorf berichtet in der NZZ vom London Design Festival, das noch bis Ende des Monats geht.
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Stichwörter: Feige, David Martin

Bühne

Besprochen werden Brechts "Guter Mensch von Sezuan" im Landestheater St. Pölten (Standard), Romeo Castelluccis "geniale" Inszenierung von Mozarts "Zauberflöte" in Brüssel (SZ), Inszenierungen von Peter Stein und Thomas Ostermeier in Paris (SZ), Barrie Koskys und Vladimir Jurowskis "Digest-Version" von Franz Schrekers Oper "Die Gezeichneten" in Zürich  (FAZ).
Archiv: Bühne

Literatur

Im Jungle-World-Essay macht sich Magnus Klaue daran, den 1968 gestorbenen Krimi-Schriftsteller Cornell Woolrich aus dem Schatten seiner deutlich bekannteren Verfilmungen zu heben: In Woolrichs Leben "verdichten sich Erfahrungen, die auf Umbrüche der Zeit zwischen den späten Zwanzigern und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs verweisen: der Zerfall ökonomischer Sicherheiten, die Erosion der Familie, die schroffe Entwertung tradierter Geschlechterrollen. Dass es in seinen Büchern durchweg Frauen sind, in denen die im Bedürfnis nach Bemutterung gefangenen Männer einen stets trügerischen letzten Halt suchen, reflektiert sein eigenes halbfreiwilliges Dasein als lebenslanger Sohn. Während das Genre des Hardboiled-Krimis, das Dashiell Hammett Ende der Zwanziger begründete und Raymond Chandler während des Zweiten Weltkriegs mit seiner Philip-Marlowe-Serie fortsetzte, auf solche Zerfallserfahrungen mit der Imago des verletzlichen, aber charakterstarken private eye antwortete, sind Woolrichs Männerfiguren stärker durch ihre Obsessionen als durch ihr Charisma bestimmt."

Weitere Artikel: Die NZZ hat einen Text von Pico Iyer aus einer Essayreihe der New York Times über "Big Ideas" übernommen: Wie man Menschen in einer ganz und gar fremden Welt wie Nordkorea kennen lernt. In der Welt gratuliert Wolfgang Hellmich Michel Houellebecq zur via Carla Brunis Instagram-Account bekannt gewordenen Eheschließung mit Qfianyum Lysis Li. Manuel Müller stellt in der NZZ die Arbeit des Schweizerischen Instituts für Kinder- und Jugendmedien vor, das "mit breitem historischem und zeitgenössischem Interesse Kinder- und Jugendliteratur sammelt" und erforscht. Roman Bucheli schreibt in der NZZ zum Tod des Schriftstellers Herbert Meier.

Besprochen werden Paulo Coelhos "Hippie" (SZ), Hermann Brochs und Frank Thiess' "Briefwechsel 1929-38 und 1948-51" (Tagesspiegel), eine von Marit Beyer gelesene Hörbuch-Aufnahme von Natalia Ginzburgs "Valentino und fünf Erzählungen" (Standard), Ursula Krechels "Geisterbahn" (online nachgereicht von der FAZ), Peter Henischs "Siebeneinhalb Leben" (NZZ), Mara Pfeiffers Krimi "Im Schatten der Arena" (FR) und Christian Schnalkes "Römisches Fieber" (FAZ).
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Musik

Eine Kostbarkeit ist das neue Album der schwedischen Punkband Viagra Boys nicht gerade, schreibt Jens-Christian Rabe in der SZ-Popkolumne, "aber das Video zur Single "Sports" ist schon schön. ... Ach, der gute alte Punkrock und seine ewige Liebe zur grandios bescheuerten Metapher."


   
Besprochen werden Helena Hauffs "Qualm" ("aufregend, eigenwillig, gewaltig", freut sich Jens Uthoff in der taz), Prince' postum veröffentlichtes Album "Piano & a Microphone 1983" (Pitchfork) und ein Konzert der Altsaxofonistin Angelika Niescier (Tagesspiegel).
Archiv: Musik
Stichwörter: Punk