9punkt - Die Debattenrundschau

Der schreckliche Adolf Hitler

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.08.2021. Die Karibik ist Paradies und Hölle zugleich, schreibt Hans Christoph Buch in der NZZ.  Der Antisemitismus ist ein Rassismus, sagte der israelische Außenminister Jair Lapid und löste damit eine heftige Debatte aus, berichtet die FAZ. Der Holocaust ist einer unter vielen, schreibt der Literaturproessor Silvio Vietta in der Wiener Zeitung. Der New Statesman zeigt, wie Google und Co. die Forschung über sich gleich selbst finanzieren. Und Robin DiAngelo erzählt in einem Interview, wie sie entdeckte, dass sie weiß ist.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 03.08.2021 finden Sie hier

Ideen

Joseph Croitoru zitiert in der FAZ aus einer Rede des israelischen Außenministers Jair Lapid, der Antisemitismus ganz klar als einen Rassismus begreifen will. In der Rede heißt es: "Es ist für uns an der Zeit, damit zu beginnen, die wahre Geschichte über die Antisemiten zu erzählen. Antisemiten gab es nicht nur im Ghetto in Budapest. Antisemiten waren die Sklavenhändler, die gefesselte Sklaven ins Meer warfen. Antisemiten waren die Hutu in Ruanda, die die Tutsi abschlachteten. Antisemiten sind die Muslime, die im letzten Jahrzehnt mehr als zwanzig Millionen Muslime getötet haben. Antisemiten sind der IS und Boko Haram. Antisemiten sind diejenigen, die junge LGBT-Menschen zu Tode prügeln. Antisemiten sind all jene, die Menschen verfolgen, nicht für das, was sie getan haben, sondern für das, was sie sind, für das, als was sie geboren wurden." Dagegen, so Croitoru, laufe nun die israelische Rechte Sturm, denn Antirassismus als Rassismus zu begreifen, gilt als "links", ihn als etwas Eigenes zu betrachten, als "rechts". In Ha'aretz hat Lapid seine Gedanken in etwas moderaterer Form dargelegt, so Croitoru, auch auf Englisch, allerdings nicht online.

Auch der Holocaust hat gar keine eigene Qualität, sondern wird seit 500 Jahren vom Westen immer wieder neu verübt, schreibt der Hildesheimer Literaturwissenschaftler Silvio Vietta in der Wiener Zeitung: "Den furchtbaren Holocaust - von 'ganz' (holos) und 'verbrannt' (kaustus), also eine Form der intendierten Gesamtvernichtung eines Volkes oder einer Rasse - hat nicht erst der schreckliche Adolf Hitler erfunden. Er beginnt praktisch zeitgleich um 1500 mit der Entdeckung und Eroberung der Neuen Welt."
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Gesellschaft

In einer Kolumne für die NZZ staunt Reinhard Mohr, dass sich ausgerechnet Sebastian Vettel zu den Grünen bekennt: "Wie 'ökologisch nachhaltig' Vettel und sein vielköpfiges Rennteam zwischen den Kontinenten pendeln, weiß niemand. Aber zwischendurch jedenfalls will der gebürtige Heppenheimer, der seit Jahren in der Schweiz lebt, seinen ganz persönlichen CO2-Fußabdruck jenseits der Boxenstopps deutlich reduzieren. Der eine oder andere Velo-Ausflug an den Bodensee wird dabei gewiss helfen."

Viel retweetet wird eine Interviewpassage, in der Robin DiAngelo, die Päpstin der "Critical Whiteness", über die "Out of Body Experience" berichtet, in der sie zum ersten Mal in ihrem Leben feststellte, "Oh my God, I am white".

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Politik

Die Karibik ist Paradies und Hölle zugleich, schreibt Hans Christoph Buch in einer Tour d'horizon für die NZZ. Auch in den französischen Antillen täusche die Postkartenidylle, obwohl niemand die Unabhängigkeit wolle: "Gleichzeitig blicken die als indolent geltenden Kreolen mit Missgunst und Neid auf asiatische Einwanderer, meist Inder und Vietnamesen, die schneller als sie den sozialen Aufstieg schaffen. Zuletzt kamen die Hmong, christliche Bergvölker aus Laos und Vietnam, die Gemüse anbauen im Dschungel von Französisch-Guayana, wo sich einst entlaufene Sklaven niederließen und mit Resten der Arrawak genannten Ureinwohner vermischten. Am unteren Ende der Hierarchie aber stehen Bootsflüchtlinge aus Haiti, auch hier nur widerwillig geduldet, denn jede Minderheit hackt gern auf anderen Minderheiten herum." In Martinique, wo die Impfrate auch wegen der Skepsis in der Bevölkerung sehr niedrig ist, liegt übrigens die Corona-Inzidenz bei 995, berichtet die Website des französischen Staatsfernsehen francetvinfo.fr.
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Internet

Nicht nur Medien wie die FAZ und andere lassen sich von der "Google News Initiative" finanzieren, auch in Universitäten ist der Konzern aktiv, um seine Position zu verteidigen, schreibt eine Reportergruppe im New Statesman: "Eine Untersuchung des New Statesman hat ergeben, dass sechs führende akademische Institute in der EU in den letzten fünf Jahren Dutzende von Millionen Pfund von Google, Facebook, Amazon und Microsoft erhalten haben, um Fragen zu erforschen, die mit den Geschäftsmodellen der Technologieunternehmen zusammenhängen - von Privatsphäre und Datenschutz bis hin zu KI-Ethik und Wettbewerb auf digitalen Märkten. Diese Finanzierung geht zwar in der Regel mit Garantien für die akademische Unabhängigkeit einher, führt aber zu einem ethischen Dilemma, wenn auch der Hauptgeldgeber zum Gegenstand der Forschung gehört."
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Europa

In Bayern wird es immer schwieriger, Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu lassen, berichtet Dominik Baur in der taz. Eines der Probleme ist, dass kaum noch junge ÄrztInnen Abbrüche durchführen, sagt etwa der 75-jährige Gynäkologe Friedrich Stapf: "Beim Gesundheitsreferat in München waren 2019 37 Ärztinnen und Ärzte gemeldet, die Schwangerschaftsabbrüche machen durften. 22 von ihnen waren bereits über 60, fünf sogar über 70. Ab 2010 sind 20 Ärzte ausgeschieden, nur 6 sind dazugekommen. Und andernorts sieht es nicht besser aus. 'Die, die es machen, das sind größtenteils noch Medizinstudenten der sechziger, siebziger Jahre', sagt Stapf. Als 1971 der berühmte Stern-Titel 'Wir haben abgetrieben' erschien, standen viele im Medizinstudium oder kurz davor. 'Das Bewusstsein, dass das eine politisch notwendige Sache ist, fehlt heute komplett', findet auch Marianne Weiß von Pro Familia Augsburg."

Außerdem: In der NZZ erklärt der englische Historiker Robert Tombs, warum er sich freut, dass mit dem Brexit die nationale Souveränität siegte. Und der Schweizer Bundesrat und Bankier Kaspar Villiger fragt sich in der NZZ, wie es nach dem Scheitern des "Rahmenabkommens" mit der EU um die Schweizer Souveränität bestellt ist.
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