Efeu - Die Kulturrundschau

Kosmische Zwitschertöne

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28.05.2016. Zur Eröffnung der Architekturbiennale schreiben die Kritiker mit mäßiger Begeisterung aus Venedig: Immerhin sehr mediterran-luftig fand die SZ den aufgerissenen deutschen Pavillon. Die FAZ schluckt etwas unwillig die Bouillabaisse der guten Absichten. In der Welt erklärt Biennale-Chef Alejandro Aravena: Die bösen Jungs, das sind die Generalunternehmer. In der NZZ schreiben Taiye Selasi und Alex Perry in einem Schwerpunkt zu Afrika. Die taz folgt Annett Gröschner und Arwed Messmer beim Inventarisieren der Macht über 160 Kilometer Mauerstreifen.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 28.05.2016 finden Sie hier

Architektur


Offenes Deutschland! Der neue Pavillon in Venedig

Am Wochenende eröffnet Venedig seine Architekturbiennale - und mit Freude blicken die Kritiker durch die Löcher, die mit einigem Aufwand in den Deutschen Pavillon geschlagen wurden: Das Gebäude, ein alter Nazipavillon, wirke dadurch luftig mediterran und biete sich unter dem Motto "Making Heimat" gleich doppelt als Statement zur Flüchtlingskrise an. Dennoch, "so klar, brisant und überraschend wie bei den Deutschen sind nicht alle Beiträge der Welt-Architekturschau", findet Laura Weißmüller in der SZ. Manches bliebe "nebulös", einige Länder bieten bloß eine "Materialschlacht. Nach klugen Gedanken muss man tatsächlich auch in der Hauptausstellung, im Arsenale und dem zentralen Pavillon auf dem Giardini-Gelände suchen."

Niklas Maak verließ für die FAZ das Areal noch etwas griesgrämiger: Geradezu bizarr findet er es, "worauf diese Biennale des 'social turn' alles keine Antwort hat, auch weil die unterschiedlichsten Formen von sozialem Engagement, kommerzielle und humanitäre Interessen, in einer Art Bouillabaisse der guten Absichten zusammengekocht werden. ... So ist diese Biennale, die auf den ersten Blick sympathisch, sozial und grassrootartig engagiert wirkt, letztendlich seltsam unpolitisch - auch, weil sie zwischen die interessanten Beispiele immer wieder Projekte mengt, die offenbar aus irgendwelchen taktischen Gründen untergebracht werden mussten."

Weiteres: In der NZZ blickt Gabriele Detterer gnädiger auf die Schau, die bemerkenswert viele junge Architekten präsentiere. Marcus Woellner sieht in der Welt einen geradezu "unverwüstlichen Optimismus" am Werk. Im Interview mit der Welt nimmt zudem Biennale-Chef Alejandro Aravena die vielkritisierten Stararchitekten in Schutz: "Generalunternehmer, die als verlängerter Arm und instrumentelles Werkzeug des Kapitals dienen, Projektentwickler und die Immobilienwirtschaft, das sind die wirklich gefährlichen Jungs."
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Literatur

Die NZZ erscheint heute mit einem Schwerpunkt zu Afrika. Die Schriftstellerin Taiye Selasi bekennt, wie sie mit dem stolzen Bild der Afropolitin auch eine Scham über ihre Herkunft überspielt hat: "Armut, Polygamie, ein negatives Afrika-Klischee am andern. Es schien mir immer eine Sache der Höflichkeit zu sein, diese Details auszublenden, wenn man mich nach meiner Herkunft fragte. Aber der Schmerz, den Percys (treffende) Vermutung auslöste, ließ mich ahnen, dass da etwas anderes am Werk war: ein Bedürfnis, nicht allzu deutlich werden zu lassen, woher ich kam und wer meine Eltern waren. Intellektuell sah ich mich als stolze Vertreterin eines modernen Westafrika. Emotional als die Tochter eines westafrikanischen Polygamisten. Ich musste einen neuen Weg finden, mich als Afrikanerin zu erkennen - und nicht nur als Erbin der Verletzungen, die mir meine Eltern übermacht hatten."

Alex Perry sagt zudem in der NZZ voraus, dass die Zeit, in der Afrikas Geschichte von außen gemacht, geschrieben und verzerrt wurde, bald ein Ende haben dürfte: "In den nächsten zehn, zwanzig Jahren werden sich Millionen Afrikaner aus der Armut befreien. Wenn der Kontinent auf dem derzeitigen Wachstumskurs bleibt, dann darf ein typisches afrikanisches Land wie Sambia mit einiger Sicherheit erwarten, um 2050 herum mindestens so gut dazustehen wie Polen heute und im besten Fall sogar ein ähnliches Niveau wie Südkorea zu erreichen."

Für die taz hat Alem Grabovic ein großes Gespräch mit Maxim Biller geführt, das so erwartungsgemäß wie unterhaltsam mit galligen Spitzen und bösen Seitenhieben gespickt ist. Trotz der zum Teil vernichtenden Kritiken an seinem neuen Roman "Biografie" erweist sich der Autor als recht fidel, denn natürlich sieht er sich total bestätigt: "Mir sind die Figuren meines Romans in Gestalt seiner deutschen Kritiker plötzlich ganz real entgegen getreten... Wie kann sich dieser Biller erlauben, uns seine Deutung des Holocaust und seiner Folgen zu diktieren? Und wieso haben diese Leute, die gefälligst unter dem Holocaust zu leiden haben, auch noch so viel Sex? Und außerdem stehen da irgendwie zu viele jüdische Worte drin! Das zu erleben ist eigentlich ein Triumph. Ich bin wahnsinnig glücklich, dass die Realität die poetische Wahrheit des Romans belegt." Dazu passend liefert die taz den achten Teil von Ulrich Gutmairs Lektürenotizen zu "Biografie".

Für ihren aktuellen Roman "Unterleuten" hat Juli Zeh dem Leben einiger ihrer Protagonisten in Form fingierter Internetpräsenzen ein Leben über den Text hinaus verschafft. Harald Jähner von der FR kann diesem Manöver allerding nur wenig abgewinnen: "Wirklich lustig ist das nicht. Die Figuren ihres Romans bekommen durch die Gimmicks eine Drolligkeit, die sie nicht verdienen."

In der NZZ bemerkt Rainer Moritz, dass Verlage immer weniger lektorieren: "Seitdem Lektoren zu Projektmanagern wurden, kaum noch Zeit für irgendetwas haben, Verlage in Sparnot Stellen streichen, Textarbeit an Externe delegieren und sich das Produktionsrad immer schneller dreht, krankt es an der Qualität dessen, was zwischen zwei Buchdeckel gelangt."

Weiteres: Für die taz spricht Elise Graton mit der Comicautorin Birgit Weyhe, deren neuer Comic "Madgermanes" von der Geschichte mosambikanischer Arbeiter in der DDR handelt. Paul Ingendaay erinnert in der FAZ an den vor 100 Jahren geborenen Schriftsteller Walker Percy.

Besprochen werden u.a. Kerry Howleys "Geworfen" (taz), Saša Stanišićs Erzählungsband "Fallensteller" (SZ), Celeste Ngs "Was ich euch nicht erzählte" (FR), Patti Smiths Erinnerungsband "M-Train" (FR) und Isabel Bogdans "Der Pfau" (FAZ). Mehr aus dem literarischen Leben im Netz in Lit21, unserem fortlaufend aktualisiertem Metablog.
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Musik

Beim Moogfest in North Carolina gab es vom Workshop bis zum Elektro-Avantgarde-Happening so ziemlich alles, berichtet beglückt Julian Weber in einem ausführlichen Resümee für die taz. Zu den Highlights zählte unter anderem der Auftritt des House-Produzenten Afrikan Sciences, der seinen "Digital Blackness"-Sound auf die Bühne brachte: "Effektgeräte und Sequenzer verknüpft er mit Synthesizern. Könnte glatt als elektronische Variante von Sun Ras Keyboard-Alchemie durchgehen. Die endlose Verkabelung seiner Maschinen zelebriert Afrikan Sciences (Eric Porter-Douglass) als Teil der Performance. Welch Erleichterung, als er loslegt: Kosmische Zwitschertöne prallen auf ungerade Rhythmen, Kaskaden von Melodien zerstieben im tosenden Beatgewitter. Afrikan Sciences kommt nie zum Punkt - zum Glück für die Zuhörer, denn in seiner eigenwilligen Mischung aus verbastelter Technikaffirmation, Jazzschwelgerei und futuristischer Beatwissenschaft entsteht eine charakteristische Mixtur." Hier kann man sich davon einen kleinen Eindruck verschaffen.

Weiteres: Beim Hamburger AC/DC-Konzert verabschiedete sich Michael Pilz in der Welt vom Glauben, dass Rock'n'Roll etwas mit Rebellion zu tun hat. Für die SZ spricht Alexander Menden mit Brian Eno.

Besprochen werden eine Wiederveröffentlichung von Alan Ginsbergs "The Last Word on First Blues" (Pitchfork) und das Buch "In Eile - wie immer!" mit neuen unbekannten Briefen von Gustav Mahler (SZ).

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Bühne

Für die Jungle World hat Jakob Hayner das Berliner Theatertreffen besucht. Besprochen wird Anne Leppers am Nationaltheater Mannheim uraufgeführtes Stück "Mädchen in Not" (FR).

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Film


Im Schutzraum: "Der Staat gegen Fritz Bauer" gewinnt Deutschen Filmpreis.

Lars Kraumes
"Der Staat gegen Fritz Bauer" ist der große Abräumer beim Deutschen Filmpreis (hier die Preisträger im Überblick). Jan Schulz-Ojala vom Tagesspiegel hätte den Preis unterdessen viel lieber an David Wnendts Verfilmung des Bestsellers "Er ist wieder da" von Timur Vernes vergeben: Diese sei "ein Zerrspiegel der Deutschen, aber ein grässlich genauer. 'Der Staat gegen Fritz Bauer' dagegen bedient in erster Linie die Vorstellung der guten Deutschen von sich selbst. Sehnsucht gegen Tatsächliches: Mit diesem so eindeutigen Votum bunkert sich die Deutsche Filmakademie in einem Schutzraum ein." Dort warten immerhin schon die Filmkritiker, deren Berufsverband den Film vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls als "besten Film des Jahres" ausgezeichnet hat.

Jodie Fosters Wall-Street-Thriller "Money Monster" mit George Clooney enttäuscht die Kritik. Im Freitag schreibt ein bedauernder Ekkehard Knörer: "Money Monster" sei ein Film, "der nicht wirklich weiß, was er ist und wohin er will... Auch Jodie Fosters Regie rettet da nichts. Von Anfang an stört ein arg hysterischer Ton." Und Carolin Ströbele von ZeitOnline weiß eh auch gar nicht so recht, was ihr dieser Film überhaupt mitteilen will.

Weiteres: In der FR schreibt Daland Segler über das dem japanischen Kino gewidmete Frankfurter Filmfestival Nippon Connection. Besprochen werden Sion Sonos Science-Fiction-Film "The Whispering Star" (Tagesspiegel, unsere Kritik hier) und der Zombie-Neonazi-Film "Green Room" (Welt).
Archiv: Film

Kunst


Aus den Fotografien von den DDR-Grenztruppen um 1966 haben Annett Gröschner und Arwed Messmer Panoramen der Entleerung geschaffen.

160 Kilometer historischer Mauerverlauf
aus Perspektive des Ostens nach Westen, fotografisch penibel dokumentiert - das ist das Versprechen von Annett Gröschners und Arwed Messmers auf langjähriger Archivarbeit fußenden Ausstellung samt Buch "Die Inventarisierung der Macht", die derzeit im Berliner Haus am Kleistpark zu sehen ist. "Was alle Bilder verbindet", schreibt Katrin Bettina Müller dazu in der taz, "ist vor allem die Entleerung einer Landschaft, ihr Totstellen ... Vorn sieht man immer ein Nichts, ein übersichtliches Schussfeld, vielleicht mal Reifenspuren im Schnee. Man freut sich, längs der Invalidenstraße mal gestapelte Kisten der VEB Weinverarbeitung an einer alten Mauer zu sehen, kurze Abwechslung." Weitere Besprechungen in der Berliner Zeitung und im Tagesspiegel.

Weiteres: Für die Berliner Zeitung bringt Ingeborg Ruthe Hintergrundinformationen zur kommenden Berlin-Biennale. Zum 30-jährigen Bestehen des Berliner Kollwitz-Museums berichtet Michael Bienert im Tagesspiegel von Turbulenzen und Herausforderungen hinter den Kulissen des Hauses. In der Berliner Zeitung gratuliert Ingeborg Ruthe.

Besprochen werden eine Ausstellung des sehr unmodernen Tiermalers Jean-Baptiste Huet in Paris (Welt) und die Ausstellung "Fake: Fälschungen, wie sie im Buche stehen" in der Universitätsbibliothek Heidelberg (FAZ).
Archiv: Kunst