Efeu - Die Kulturrundschau

Ich liebe es, wenn es singt

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
12.09.2014. Alexander Fest gibt seinen Verlegerposten bei Rowohlt auf, meldet die Welt. Die Feuilletons begutachten gesellschaftskritische Eingreifkunst bei René Polleschs "House for Sale" an der Berliner Volksbühne. Pasolini heute? Wäre Amok gelaufen, glaubt der Tagesspiegel. Die NZZ informiert über Chancen und Risiken der 3D-Drucker für die Bauindustrie. Die SZ lässt sich von Georg Baselitz erzählen, welchen Preis er eigentlich verdient hätte - und nicht Günter Grass. Und in der Welt trägt Wolfgang Rihm eine Menge Energie weiter.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.09.2014 finden Sie hier

Bühne


René Pollesch, House for sale, Volksbühe Berlin. Foto © LSD | Lenore Blievernicht

Die Berliner Volksbühne beginnt ihre Saison mit René Polleschs "House for Sale". Darin wendet sich der Regisseur gegen die zum Ritual geronnene "gesellschaftskritische Eingreifkunst", verrät uns Christine Wahl im Tagesspiegel. Viel mehr als Achselzucken scheint das bei der Kritikerin nicht ausgelöst zu haben: "Von einem an Slavoj Žižek geschulten Religionsdiskurs abgesehen, hält sich die Theoriemasse diesmal für Pollesch-Verhältnisse auffällig im Hintergrund. Dafür gibt es viel lustiges Befindlichkeitsgeplänkel und angewandtes Gender-Switching. ... [Aber] Natürlich ist es unterhaltsam, Rois, Groß und Partecke bei der entsprechenden Virilitätssimulation, Breitbeinigkeitsparodie und dem vitalen Knarrengebrauch zuzusehen."

In der Nachtkritik ist Esther Slevogt beeindruckt, ohne allzu zustimmend erscheinen zu wollen: "Mit großer Leichtigkeit jonglieren die drei Schauspielerinnen mit den Diskursschnipseln und teilweise zentnerschweren Thesen und Sätzen. Besonders Sophie Rois" abgründiges Sprachgefühl macht einiges des gelegentlich etwas unausgegoren wirkenden Wertekonservativismus" dieses Abends wett. Da wird Bewunderung für den authentischen katholischen Repräsentationsprunk und die Wurzeln der Theaterrepräsentation darin ebenso nonchalant formuliert, wie die Frage, ob gegen öffentlich auftretende Nazis nicht doch eher die Wucht eines Baseballschlägers hilft, statt "Konzerte gegen Rechts". Also reale statt symbolische Handlungen."

Außerdem: Pollesch befragt hier sein eigenes Werk auf die Wirkmächtigkeit, meint ein recht abgeklärter Dirk Pilz in der FR. "Aber anders als in den gelungeneren Pollesch-Entwürfen beginnt hier nichts zu tanzen." Mounia Meiborg (SZ) hat sich zumindest ganz gut amüsiert: Zwar biete Pollesch "nicht immer große Philosophie. Manchmal ist es höherer Nonsens. Aber er will etwas, dieser lustige Abend. Und sei es nur, uns an die Diskrepanz von Wunsch und Wirklichkeit zu erinnern. "

Weitere Artikel: Für den Tagesspiegel porträtiert Sandra Luzina die am Berliner Maxim Gorki arbeitende Regisseurin Yael Ronen.
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Film


Elsa Morante, Bernardo Bertolucci und Pier Paolo Pasolini am Set von "Der Weichkäse"

Die große Pasolini-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau beeindruckt die Kritiker nachhaltig. Gregor Dotzauer vom Tagesspiegel erkennt in der Zusammenstellung dieser Schau einen Pasolini, "der so tief in die Umstände seiner Zeit eingesenkt ist, dass man sich kaum vorstellen kann, wie er aus seiner doppelten Frontstellung gegen den "Klerikalfaschismus" (mit heimlicher Sympathie für den Katholizismus) und die marxistische Orthodoxie (trotz der Utopie einer klassenlosen Gesellschaft) eine Position in den wankelmütigen Meinungsumfragedemokratien von heute gewonnen hätte. Mit Sicherheit lässt sich höchstens sagen: Er wäre Amok gelaufen." Für die Berliner Zeitung hat sich Harald Jähner die Ausstellung angesehen.

Weitere Artikel: In Paris hat die Pathé-Stiftung ein von Renzo Piano erbautes Museum eröffnet, freut sich Marc Zitzmann in der NZZ. Für ZeitOnline unterhält sich Wenke Husmann mit Regisseur Anton Corbijn, dessen neuer (in der FR von Daniel Kothenschulte besprochene) Film "A Most Wanted Man" gerade ins Kino gekommen ist.

Alle trauern um Joachim "Blacky" Fuchsberger: Nachrufe schreiben Klaudia Wick in der Berliner Zeitung, Jan Feddersen in der taz, Christian Mayer in der SZ, Daniel Kothenschulte in der FR, Harald Martenstein im Tagesspiegel und Edo Reents in der FAZ.

Hier sieht man ihn 1954 als Gefreiten Asch in dem Dreiteiler nach Helmut Kirsts Roman "08/15":



Besprochen werden Michael Oberts Dokumentarfilm "Song From the Forest" (FR), die Komödie "Sex-Tape" mit Cameron Diaz und Jason Segel (Tagesspiegel, Perlentaucher), Maria Speths "Töchter" (Tagesspiegel) und Vanessa Jopps "Lügen und andere Wahrheiten" (Tagesspiegel, kritiken.de).
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Kunst


Georg Baselitz, Der vergessene 2. Kongress der 3. kommunistischen Internationale in Moskau 1920; rechts im Bild Ralf, daneben Jörg, 2008 (Detail) © Georg Baselitz, 2014, Guggenheim Bilbao Museoa, Foto Jochen Littkemann


Für die SZ spricht Catrin Lorch mit dem Maler Georg Baselitz, dessen Arbeiten demnächst im Haus der Kunst in München zu sehen sind. Bezüglich seiner schriftlicher Wortmeldungen ist er nicht eben bescheiden: "Durch meine Einsamkeit habe ich es geschafft, mich abzuschließen, hermetischer zu sein. Seit mehr als vierzig Jahren rede ich ja mit keinem anderen Künstler mehr. Und inzwischen würde ich sagen, ich verdiene eher den Nobelpreis als Grass."

Adrian Lobe hat sich für die NZZ mit mehreren Architekten über Chancen und Risiken der 3D-Drucker für die Bauindustrie unterhalten. Insgesamt überwiegt die Hoffnung, damit interessanter und kostengünstiger bauen zu können: ""Die Herausforderung wird darin bestehen, die Baustoffe zu diversifizieren und kostengünstigere Drucker zu entwickeln", sagt Carlo Ratti. Ein 3-D-Drucker sei in der Lage, prinzipiell jedes Gebäude zu drucken. "Das Ergebnis dieser Verbesserungen werden aktive Gemeinden sein, deren Bürger ihre eigenen Städte entwerfen können, dank verschiedenen Werkzeugen, die man ihnen an die Hand gibt. Ein interessanter Aspekt ist dabei, dass mit der dritten industriellen Revolution die Produktion von Gütern zurück in die Stadtzentren kommen könnte. Das würde helfen, eine Segregation zu heilen, die es seit dem Mittelalter gibt.""

Hier erklären die Architekten des niederländischen Büros Dus Architects, wie sie ein Kanalhaus in Amsterdam für den 3D-Drucker planten (mehr hier):



Weitere Artikel: Gde. begutachtet für die NZZ die ambitionierte neue Weinkellerei, die Marco Casamonti für die Cantina Antinori in Bargino San Casciano gebaut hat. Im Tagesspiegel porträtiert Anna Pataczek in Berlin lebende israelische Künstler. In der Berliner Zeitung bringt Nikolaus Bernau Hintergründe zum Genter Altar der Gebrüder van Eyck, der als Reproduktion gerade in der Berliner Gemäldegalerie zu sehen ist.

Besprochen werden die Ausstellung "Gefangene Bilder" im Historischen Museum in Frankfurt (taz) und eine Ausstellung aus den Archivbeständen der Medienkunstpioniere Van Gogh TV in der Petra Rietz Salon Galerie in Berlin (taz).
Archiv: Kunst

Musik

Wolfgang Rihm erklärt im Interview mit der Welt, warum er gleich drei neue Konzerte komponiert hat, die in diesem Jahr aufgeführt werden sollen: "... diese drei heißen sehr bewusst "Konzert". Aber auch das bedeutet ja nur, da ist ein Solist und ein Kollektiv, die sich zueinander verhalten, sonst nichts. Alles andere ist meine Lust und Erfindung. Das kann ein Ineinander und Verschmelzen sein, aber auch ein antagonistisches gegeneinander Kämpfen sein, ein Wechselspiel, ein gemeinsamer Strom. Meine Vorstellung eines Konzerts ist in jedem Fall in erster Linie nicht eine von vorgetragener Virtuosität, sondern von weitergetragener Energie. Deshalb habe ich auch viel Konzerte für Streicher und Bläser geschrieben, da ist das am Sinnfälligsten zu realisieren. Ich liebe es, wenn es singt."

Tim Caspar Boehme stellt in der taz den Krautrocker Harald Großkopf vor, dessen Alben "Synthesist" (mehr) und "Oceanheart" gerade wiederveröffentlicht wurden: "Sein elektronisch-minimalistischer Proto-Techno-Entwurf, der in den achtziger Jahren floppte, erweist sich dabei als erfreulich zeitbeständig." Dem kann man nur beipflichten:



Weitere Artikel: Peter Hagmann war für die NZZ dabei, als das Tonhalle-Orchester unter seinem neuen Chefdirigenten Lionel Bringuier die Saison in Zürich mit der Uraufführung der Auftragskomposition "Karawane" von Esa-Pekka Salonen eröffnete. Michael Pilz berichtet vom Auftritt Pharell Williams" beim Itunes-Festival in London. Für die FAZ besucht Jan Brachmann die neue Philharmonie im polnischen Stettin, die er insbesondere auch den Musikfreunden im benachbarte Mecklenburg-Vorpommern ans Herz legt.

Besprochen wird der Saisonauftakt der Münchner Philharmoniker unter Semyon Bychkov (SZ).

Und Reinhard J. Brembeck hat in der SZ die gute Idee, an den großen Komponisten und Theoretiker Jean-Philipp Rameau zu erinnern, der vor 250 Jahren gestorben ist. Hier sein acte de ballet "Pygmalion". Mindestens bis zum ganz schön abgehenden schnellen Teil der Ouvertüre sollte man durchhhalten!

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Literatur

Alexander Fest tritt von seinem Verlegerposten bei Rowohlt zurück, bleibt dem Haus aber als "Editor in Large" erhalten, meldet Wieland Freund in der Welt. Damit mache er sich "auch vom Umsatzmachen frei. Barbara Laugwitz hingegen, seine Nachfolgerin auf dem Chefposten, hat sich bisher gerade darauf verstanden: Sie hat das Taschenbuch-Programm und das populäre Imprint Rowohlt Polaris verantwortet und mit Jan Weiler, Ildikó von Kürthy oder Jan Josef Liefers Bestseller gemacht."

In der Jungle World durchleuchtet Norma Schneider die Neurosen und Abgründe Batmans, der vor 75 Jahren seinen ersten Auftritt in einem Comicheft absolvierte. Den traumatisierten, millionenschweren Vigilanten findet sie gerade auch als Vorbild für linke Freiheitskämpfer interessant: "In der Wiederholung der immergleichen Geschichte des scheiternden Helden kommt die Unmöglichkeit zum Ausdruck, in dieser Gesellschaft ein guter Mensch zu sein. Batman spiegelt die Ohnmacht derjenigen, die sich für bessere Verhältnisse einsetzen. Eine Figur, die diese Ohnmacht immer wieder erfährt und sich dennoch weigert, aufzugeben und die Welt als gewalttätigen Ort hinzunehmen, ist vielleicht nicht die schlechteste Version eines Superhelden, die die Massenkultur hervorgebracht hat." In diesem Sinne:



Weiteres: Im Tagesspiegel berichtet Thomas Hummitzsch vom Auftakt des Internationalen Literaturfestivals in Berlin, in der FAZ Andreas Kilb.

Besprochen werden Lutz Seilers "Kruso" (FAZ, unsere Leseprobe), Nicolas Wouters" und Mikael Ross" Comic "Lauter Leben" (Tagesspiegel) und Meg Wolitzers "Die Interessanten" (SZ).
Archiv: Literatur