Efeu - Die Kulturrundschau

Interesse an einer strengen Form

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22.06.2018. In der SZ erklärt Museumsdirektor Eicke Schmidt, warum der Bildhauer Fritz König in die Uffizien gehört. Der Freitag denkt über eine Revision der deutschen Filmförderung nach, die nicht gegen EU-Recht verstößt. Die FAZ hört politischen Jazz von Kamasi Washington.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.06.2018 finden Sie hier

Kunst

In der SZ lässt sich Thomas Steinfeld von Eicke Schmidt, Direktor der Uffizien in Florenz, erklären, warum der Bildhauer Fritz König eine Retrospektive in den Uffizien bekommt: "Bei Fritz König wiederholt sich ein Verhältnis, wie es Adolf von Hildebrand im ausgehenden 19. Jahrhundert zu Michelangelo einnahm - fernab von aller Schwärmerei für die Renaissance erkannte Hildebrand in Michelangelo das Interesse an einer strengen Form, vor allem im Umgang mit dem menschlichen Körper. ... Wenn man sich die Werke Fritz Königs anschaut, wie sie in den Boboli-Gärten stehen, in einer ganz und gar von der Renaissance geprägten Umgebung, dann wird sofort offensichtlich, dass diese Verbindung aufgeht. Für mich ist das ein geradezu beglückender Anblick."

Weiteres: Das Berliner Museum für Islamische Kunst wird zehn Jahre lang mit neun Millionen Euro von der saudischen Stiftung Alwaleed Philanthropies unterstützt, was alle Beteiligten sehr glücklich macht, berichtet im Tagesspiegel Rolf Brockschmidt. Besprochen werden eine Ausstellung von Loredana Nemes in der Berlinischen Galerie (Berliner Zeitung) und eine Ausstellung der kurdischen Künstlerin Hiwa K im Kunstverein Hannover (SZ).
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Bühne

Im Interview mit der taz stellt Björn Deigner sein neues Stück für die Autorentheatertage vor, "In Stanniolpapier", der Monolog einer Prostituierten. In der nachtkritik denkt Georg Kasch darüber nach, warum mit Chris Dercon, Tomas Zierhofer-Kin und Matthias Lilienthal in jüngster Zeit drei Intendanten gescheitert sind, die für ein spartenübergreifendes experimentelles Theater stehen. Cornelia Fiedler berichtet für die SZ vom Theaterfestival Impulse, das derzeit in Mühlheim an der Ruhr, Düsseldorf und Köln stattfindet.

Besprochen werden Boris Charmatz' Choreografie "enfant" an der Volksbühne (taz) und Alban Bergs "Lulu" an der Oper Leipzig mit Rebecca Nelsen in der Titelrolle (FAZ).
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Literatur

Besprochen werden Jesmyn Wards "Singt, ihr Toten und ihr Lebenden, singt" (NZZ), Susanne Fritz' "Wie kommt der Krieg ins Kind" (ZeitOnline), Robert Seethalers "Das Feld" (NZZ), Hanno Millesis "Die vier Weltteile" (Standard) und Ivan Blatnýs Gedichtband "Hilfsschule Bixley" (SZ).

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Stichwörter: Fritz, Susanne

Film

De facto ist die deutsche Filmförderung eine Wirtschaftsförderung. Dies aber macht sie "europarechtlich problematisch", schreiben der Medienrechtsanwalt Jascha Alleyne und der Festivalleiter und Filmhistoriker Lars Henrik Gass im Freitag. Denn auch wenn die EU nicht per se zwischen kommerziellem und kulturellem Film unterscheidet, muss der kulturelle Aspekt zwingend sein. In Deutschland jedoch ist Kultur Ländersache - die auf Bundesebene beschlossene Filmförderung ist somit zwingend mit dem Ziel wirtschaftlicher Nachhaltigkeit angelegt. Doch "gegen einen auch nur erahnbaren 'nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg' des deutschen Films spricht, dass die Rückzahlungsquote der als Darlehen ausgereichten Fördermittel generell weit unter zehn Prozent liegt. ... Das FFG wird faktisch nach dem Grundsatz einer 'wirtschaftlichen Erfolgsorientierung' ausgelegt, obwohl diese erkennbar weder gegeben ist noch eingefordert wird. Man müsste also ein Vertragsverletzungsverfahren bei der EU-Kommission initiieren, um einen supranationalen Aushandlungsprozess anzustrengen. In dessen Verlauf würden die Zielvorstellungen und die Praxis von Filmförderung neu diskutiert werden müssen - also die Kriterien für Kultur und Wirtschaftlichkeit ebenso wie die ihrer Herstellung."

Für die FR porträtiert Daniel Kothenschule Carlo Chatrian, den bisherigen Leiter des Filmfestivals in Locarno, der heute aller Wahrscheinlichkeit nach offiziell als neuer künstlerischer Leiter der Berlinale bekannt gegeben wird: Er "ist das denkbar deutlichste Gegenmodell zu Dieter Kosslick. Ein zurückhaltend, aber hoch seriös auftretender Filmliebhaber und Filmvermittler, ein Cinephiler mit Herz und Verstand."

Besprochen werden Chloé Zhaos "The Rider" (Freitag, Tagesspiegel, unsere Kritik hier), Stanislaw Muchas Dokumentarfilm "Kolyma" (Berliner Zeitung, Tagesspiegel), Dominic Cookes Verfilmung von Ian McEwans Roman "Am Strand" (SZ, Tagesspiegel), Martin Sulíks "Dolmetscher" mit Peter Simonischek (Standard) und die Doku-Serie "Wild Wild Country" über die Geschichte des Bhagwan (NZZ).
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Architektur

In der SZ lässt sich Andrian Kreye von der thailändischen Landschaftsarchitektin Kotchakorn Voraarkhom ihr Konzept einer porösen Stadt erklären, die die Betonversiegelungen aufbricht, damit die Wasser des Monsun wieder abfließen können. "Kotchakorn Voraarkhom war in ihrer Kindheit Augenzeugin der selbstgemachten Katastrophe. 'Früher gab es immer noch die Kanäle, es waren nicht alle Straßen zubetoniert', erklärt die 39-Jährige. 'Das Wasser konnte fließen. Doch weil wir immer eine landwirtschaftliche Gesellschaft waren und Landschaft eine Selbstverständlichkeit, dachte niemand daran, die Landschaft Bangkoks zu erhalten.' So gibt es heute kaum Parks oder Grünflächen. Genau da setzt Voraarkhom mit ihrer Arbeit an."

Weiteres: Petra Kohse stellt in der Berliner Zeitung das Architekturbüro Ortner&Ortner Baukunst vor. Im Tagesspiegel denkt Bernhard Schulz über die neue Rolle der Bibliothek nach. In der FAZ berichtet Falk Jaeger über die Planungen für den Wiederaufbau von Schinkels Bauakademie in Berlin.
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Stichwörter: Berliner Bauakademie, Bangkok

Musik

Nicht sehr feierlich gestimmt schreiben Jeffrey Arlo Brown und Hartmut Welscher im Van Magazin über den Abschied Simon Rattles bei den Berliner Philharmonikern: "Schon bei der Wahl Rattles zum Chefdirigenten 1999 war das Orchester mit 60 zu 40 Prozent der Stimmen gespalten. In den ersten Jahren seiner Amtszeit drangen dann durch die Presse Gerüchte über die Unzufriedenheit der Musiker*innen mit ihrem neuen Chefdirigenten an die Öffentlichkeit. Rattle fühlte sich gedemütigt und forderte ein Misstrauensvotum: Falls es gegen ihn ausfalle, würde er sofort hinschmeißen. Wieder sprach sich eine knappe Mehrheit des Orchesters für ihn aus und sein Vertrag wurde verlängert, aber es zeigte sich, dass die Mitglieder bereit waren, Druck auf ihn auszuüben und ihn die Macht der eigenen Selbstbestimmtheit spüren zu lassen. 'Es war eine ziemlich hässliche Geschichte', so eine Musikerin, die damals im Orchester spielte."

Großereignis im Feuilleton: "Heaven & Earth", das neue Album des Jazz-Popularisierers Kamasi Washington. In Ruhe hinsetzen und Kopfhörer auf, rät Elena Witzeck in der FAZ, denn hier will ein "fulminantes" Album erlebt werden: Mit dem Vorgänger "The Epic" "schuf Washington noch Brücken für ungeübte Hörer", das neue Album "klingt störrischer, als habe er sich dem Kompromiss diesmal verweigert, und erinnert an die Zeiten des politischen Jazz. 'We will no longer ask for justice, we'll take our retribution', singt Patrice Quinn in 'Fists and Fury', und auf einmal ist es von dem Gedanken an Rassismus und Polizeigewalt im Amerika Donald Trumps bis zum sich radikalisierenden Jazz der bürgerrechtsbewegten Siebziger gar nicht mehr so weit." Alleine schon das an Referenzen reiche Stück "Fists of Fury" treibt Markus Schneider von der Berliner Zeitung die Freudentränen in die Augen: "Washington zieht eine selbstbewusste und spannungsreiche Linie vom saturnischen Big-Band-Jazz eines Sun Ra zu den spirituellen Furchtlosigkeiten im Souljazz der späten sechziger und frühen siebziger Jahre - und weiter bis zu den samplefreudigen Martial-Arts-Fans des HipHop. ... Er spielt die Überwältigungskarte genüsslich aus wie ein Wagner auf Jazz." Weitere, sehr begeisterte Besprechungen auf Pitchfork und bei The Quietus. Hier Washingtons aktuelles Video:



Weitere Artikel: "Die finanzielle Breitbeinigkeit von Beyoncé und Jay-Z markiert eine ziemlich deutliche Trennungslinie zwischen Schwarz und Weiß", schreibt Antonia Baum in der Zeit über das gemeinsame Versöhnungsalbum der beiden Superstars. Ljubiša Tošić spricht im Standard mit Heinz Ferlesch über 150 Jahre Wiener Singakademie. Dietmar Dath gratuliert in der FAZ dem US-Rockmusiker und Produzenten Todd Rundgren zum Siebzigsten. The Quietus listet außerdem die vierzig besten Bücher über Musik auf, während uns Niina Pollari bei Pitchfork über die besten Bücher über Lou Reed informiert.

Besprochen werden neue Alben von Gang Gang Dance (taz), Christina Aguilera (Standard, FR), und des Bluesgitarristen Buddy Guy (SZ), ein Strauss-Konzert des Hessischen Staatsorchesters (FR), ein Konzert des Zürcher Kammerorchesters mit dem Geiger Daniel Hope (NZZ), Barbara Meiers Biografie des Komponisten Alban Berg (FAZ), ein Konzert des Pianisten Till Fellner (Standard),der Wiener Auftritt von Ringo Starr (Standard) und weitere neue Popveröffentlichungen, darunter Jay Rocks "Redemption", laut ZeitOnline-Popkolumnist Fabian Wolff das bislang "beste Rap-Album des Jahres". Hier ein Auszug:

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