Efeu - Die Kulturrundschau

Wie unterfordert Reitgerte, Lederfessel, Handschelle

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12.02.2015. Die nachtkritik möchte den Streit um ein Theaterstück über den Romanisten und SS-Mann Hans Robert Jauß in Konstanz nicht unter den Teppich kehren. Schwer gelitten haben die Filmkritiker bei "Fifty Shades of Grey". Neu besprochen werden außerdem der neue Greenaway und Radu Judes Western "Aferim!". Die FR gönnt sich einen Augenblick Ruhe mit den Bildern Jean-Jacques de Boissieus. In der Zeit weckt die Dresdner Pegida-Bewegung bei Durs Grünbein unschöne Erinnerungen.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.02.2015 finden Sie hier

Bühne


Luc Feit als Hans Robert Jauß im Audimax der Universität Konstanz. Aus dem Stück "Die Liste der Unerwünschten" von Gerd Zahner, inszeniert von Didi Danquart.

In der Nachtkritik informiert Dirk Pilz über die Debatte, die die Aufführung eines Stücks über die SS-Vergangenheit des 1997 gestorbenen renommierten Literaturwissenschaftlers Hans Robert Jauß an der Uni Konstanz entfacht hat. Aktuelle und ehemalige Professoren beklagen eine "nachträgliche Gesinnungsprüfung" und "Vorverurteilung des Kollegen Jauß" und fordern eine interne Diskussion und Aufarbeitung: Pilz sieht darin "typische Beschwichtigungsrhetorik. Denn unabhängig, zu welchem Ergebnis das Gutachten kommt, steht bereits fest, dass Jauß SS-Mann aus Überzeugung war - das ist keine bloße Fußnote in einem "Komplex Jauß". Und darüber eine interne Diskussion zu fordern, heißt nichts anderes als es, unter sich, ohne eine kritische Öffentlichkeit zu den Akten legen zu wollen."

Besprochen wird Lars Eidinger als Richard III. an der Schaubühne (NZZ).
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Film



Gestern vorab auf der Berlinale und ab heute im Kino: Sam Taylor-Johnsons Verfilmung von E.L. James" SM-Romanze "Fifty Shades of Grey". Während auf der Leinwand wenigstens gelegentlich lustvoll gelitten wurde, musste die Filmkritik im Saal sich mit dem bloßen Leid zufrieden geben. Susan Vahabzadeh (SZ) findet nicht nur die Liebesgeschichte "lahm", ihr stellen sich auch die Haare zu Berge, wenn sie sieht, wie hier das prekarisierte Studentinnenleben auf die Wohlstandswelt eines patriarchalen Lovers trifft: "Wie selbstverständlich versucht er, sich mit teuren Geschenken die Macht über sie zu erkaufen - und sie liebt ihn dafür. Was für ein Albtraum."

Mehr zum Film: Auch Dietmar Dath (FAZ) findet das Ergebnis reichlich trübsinnig: "Man könnte melancholisch werden, wenn man sieht, wie unterfordert Reitgerte, Lederfessel, Handschelle und Haarpeitsche (...) ihren Daseinszweck verfehlen, der bekanntlich darin besteht, dass Menschen ihre Sexualität eben nicht als hirnlosen Brunftrausch erleiden müssen, sondern sie mit Willen, Phantasie, Vertrauen und gegenseitiger Fürsorge selbst noch im Kontrollverlust gestalten können." Der Film wirke nicht nur wie schlechter Softcore-Mainstream, sondern sexualisiere - anders als die Vorlage - nicht etwa den Mann, sondern die Frau, ärgert sich Sophie Charlotte Rieger auf kritiken.de. In der Welt ist Elmar Krekeler enttäuscht: "Der Sex. Findet statt. Er ist sauber, er ist sicher, er riecht nicht. Das erste Mal ereignet sich was nach genau 41 Minuten." Nur Sarah Saschek (ZeitOnline) meint: Dem Film gelinge eine "komplexe Interpretation".

Weiteres: Paul Thomas Anderson spricht im Interview mit dem Standard über seine Verfilmung von Thomas Pynchons Roman "Inherent Vice". Eine Kritik zum Film gibts in der Welt.



Das Neueste vom Potsdamer Platz, wo sich die Berlinale langsam ihrem Ende nähert: Zwar gibt es schwulen Sex in Mexico, doch "Peter Greenaway auszuhalten bleibt (...) harte Arbeit", stöhnt Diedrich Diederichsen (taz) nach "Eisenstein in Guanajuato". Thomas Groh ist im Perlentaucher dagegen hin und weg - auch von Greenaways inspiriertem Umgang mit den neuen Technologien.

Außerdem: Mit den Mitteln des Westerns nähert sich Radu Judes "Aferim!" der rumänischen Geschichte, erklärt Lukas Foerster (Perlentaucher). In der Welt würdigt Tilman Krause den Dokumentarfilmer Marcel Ophüls, der mit einem Ehrenbären ausgezeichnet wird. Thekla Dannenberg (Perlentaucher) war bei einer Diskussion zwischen Ophüls und Joshua Oppenheimer. Julian Weber (taz) hat sich die Musikdokumentationen angesehen, die traditionell beim Panorama zu sehen sind. Der Freitag bringt Matthias Dells unterhaltsam schlecht gelaunten Bericht zur Festival-Halbzeit. In der taz empfiehlt Tilman Baumgärtel abseits der Berlinale eine Filmreihe mit politischen Dokumentarfilmen aus den 70ern und 80er Jahren im Berliner Zeughauskino. In der Zeit sieht Katja Nicodemus Kriegerinnen - Charlotte Rampling ("45 Years"), Nicole Kidman ("Queen of the Desert"), Lea Seydoux ("Tagebuch einer Kammerzofe"), María Mercedes Coroy ("Ixcanul") - im Mittelpunkt der Berlinale stehen.

Alle weiteren heutigen taz-Texte zum Festival hier. Cargo schickt weiter munter SMS vom Festival. Stets einen schnellen Klick wert ist der mehrfach täglich aktualisierte Kritikerspiegel von critic.de. Vom Festival berichten online außerdem u.a. Filmgazette, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, FAZ, SZ, Das Filter und kino-zeit.de. Und der Perlentaucher ist selbstverständlich ebenfalls vor Ort.
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Kunst


Jean-Jacques de Boissieu (1736-1810): Château Gaillard, 1796. Städel Museum, Frankfurt am Main.

In der FR empfiehlt Christian Thomas die Ausstellung mit Radierungen und Zeichnungen von Jean-Jacques de Boissieu im Frankfurter Städel Museum: "Boissieu hält den still gestellten Moment fest, unbehelligt von gesellschaftlicher Veränderung, nicht bedrängt von sozialer Unruhe. Im Moment wird eine matte Welt stillgestellt und die Stille matt. Mit keinerlei Anfechtung sind seine Figuren über Kreuz, nicht die Bauern, nicht die Handwerker."

Weiteres: Im Freitag stellt Alexander Jürgs die Künstlerin Otobong Nkanga vor. Roland Berbig (Tagesspiegel) porträtiert den Bildhauer Wieland Förster. Besprochen wird eine Ausstellung über den späten Rembrandt im Rijksmuseum Amsterdam (SZ).
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Musik

Besprochen wird das Debütalbum "Ibeyi" der Geschwister Lisa-Kaindé und Naomi Díaz (taz).
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Stichwörter: Ibeyi

Literatur

In der Welt schreibt Richard Kämmerlings über einen Streit in Frankfurt. Dort hatte Hauke Hückstädt, der Leiter des Frankfurter Literaturhauses, in einem scharfen Brief der Stadt - und der namentlich nicht genannten Leiterin des Literaturreferats Sonja Vandenrath - vorgeworfen, ihm mit eigenen Veranstaltungen das Wasser abzugraben: "Eine Art Lesungsdumping, das die Preise und damit den Wert von Kulturveranstaltungen verderbe."

Im Feuilleton der Zeit erschauert Durs Grünbein vor dem "Sound der Unbelehrbarkeit, der Einschwörung und der Einschüchterung", der ihm aus der Dresdner Pegida-Bewegung entgegen schlägt: "Der Drang der Eingeborenen, Mehrheiten zu bilden und die Abweichler niederzubrüllen, ist etwas, das ich schon in der Schule kennenlernte."

Weiteres: Im Freitag schreibt Ulrike Baureithel zum Tod der Schriftstellerin Assia Djebar. Besprochen werden Joseph Roths "Reisen in die Ukraine und nach Russland" (SZ) und Daša Drndićs "Sonnenschein" (FAZ). Mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr.
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