Efeu - Die Kulturrundschau

Unberechenbare Künstler

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.07.2015. Die Welt porträtiert Marianna Salzmann, Dramatikerin und Leiterin des "Studios Ya" am Maxim-Gorki-Theater. Die New York Times porträtiert den Fotografen und Filmemacher Robert Frank. Die Filmkritiker wenden sich mit Grausen vom fünften Terminator ab. Ausgenommen die FAZ. Die SZ würde gern im Kupfergraben baden.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.07.2015 finden Sie hier

Bühne

Das Berliner Maxim-Gorki-Theater wurde erneut "Theater des Jahres". Aus diesem Anlass porträtiert Stefan Grund in der Welt die 29-jährige Marianna Salzmann, Dramatikerin und Leiterin des "Studios Ya" im Gorki. In diesem Jahr stand die Uraufführung ihres Stücks "Wir Zöpfe" auf dem Gorki-Programm: "Das Stück mit dem kryptischen Titel zeigt verschiedene Migrantenschicksale, die sich verflechten, als lauter Menschen unterschiedlicher Herkunft in Berlin miteinander Heiligabend feiern. Religion hin, Religion her. "Wir Zöpfe" zeigt wieder einmal: Hier schreibt jemand, der etwas zu erzählen hat. Das ist ungewöhnlich genug. Doch der Lebenslauf von Marianna Salzmann ist prall gefüllt mit spannendem Stoff für eine Dramatikerin. Geboren wurde sie 1985 in Wolgograd, lebte bis zu ihrem zehnten Lebensjahr in Moskau..."


Otello, Act III. Mit Olga Peretyatko (Desdemona), Gregory Kunde (Otello). Foto: Matthias Baus / Mailänder Scala

Drei großartige Tenöre hörte Christian Wildhagen in Rossinis "Otello" an der Mailänder Scala. Doch leider sind in der Oper Stimmen nicht alles, bedauert er in der NZZ: "Die Personenführung wirkt so, als hätte das Produktionsteam irgendwann im Verlauf der Proben beschlossen, die Sänger nicht weiter bei der Bewältigung ihrer vokalen Herausforderungen zu stören. Da wird so inbrünstig mit den Händen gerungen, jede Aussage mit Schmachtblick und Weltumarmungsgesten unterstrichen, als habe die Regie den Herz-Schmerz-Stil theatraler Darstellungen aus dem 19. Jahrhundert parodieren wollen. Nur ist dies hier wohl gar nicht als Parodie gemeint."

Besprochen werden außerdem Hofesh Shechters in Berlin aufgeführte Choreografie "Barbarians" (SZ) und Andreas Dresens bei den Münchner Opernfestspielen aufgeführte Inszenierung der Strauss-Oper "Arabella" (SZ, FAZ), deren Gelingen Alexander Kissler bei Cicero vor allem Anja Herteros zuschreibt: "Ihre Arabella ist mustergültig. Sie gibt ein Riesenweib mit Riesenstimme".
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Musik

Für Pitchfork spricht Philip Sherburne mit den Chemical Brothers. The Quietus bringt ein Gespräch zwischen Julian Marszalek und Black-Sabbath-Drummer Bill Ward. Außerdem veröffentlicht Electronic Beats ein bereits 2011 geführtes Gespräch zwischen Max Dax und Brian Eno.

Besprochen werden Ghostface Killahs und Adrian Younges neues Album "Twelve Reasons to Die II" (Pitchfork), neue Hiphop-Mixtapes (The Quietus), Michael Rothers 1977 veröffentlichtes Album "Flammende Herzen" (ein "Maximum an Herzschmerz, Kitsch und Opulenz", meint Sebastian Ingenhoff in seiner anlasslosen Rezension zur Feier von 35 Jahren Spex), ein Konzert von Lady Gaga und Tony Bennett beim Montreux Jazz Festival (NZZ) und ein Konzert des RIAS-Kammerorchesters zum Abschied von dessen Chorleiter Hans-Christophs Rademann (Tagesspiegel).
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Architektur

Der Kupfergraben, ein Seitenarm der Spree, als frei zugängliches Schwimmbad mitten in Berlins Kultur- und Museenmitte? Klingt utopisch, doch bereits seit geraumer Zeit existieren solche von Jan und Tim Edler ausgearbeiteten Vorschläge, berichtet Laura Weißmüller in der SZ. Die Umsetzung scheitert bislang wegen Bedenken vom Denkmalschutz. Mit Blick auf Stadtschloss-Rohbau und die teure Apartements der Kronprinzengärten fragt sich Weißmüller, ob Berlins Mitte in Zukunft etwa bloß Touristen und wohlhabenden Wohnungsbesitzen gehören solle: "Eine Badehose aber kann sich jeder leisten. ... Wer schon einmal in Basel in den Rhein gestiegen ist oder sich im Münchner Eisbach hat treiben lassen, der weiß, dass hier die Stadt zu sich kommt. Berlin braucht solche Orte heute mehr denn je."

In seinem Roman "Vaterjahre" hatte Michael Kleeberg dem Chilehaus in Hamburg ein literarisches Denkmal gesetzt (hier die entsprechende Passage bei Google Books). Nun hat die Unesco das Gebäude auf die Weltkulturerbeliste gesetzt. Was den Schriftsteller in der SZ ganz besonders freut. Doch was zeichnet diese "Ikonen hanseatischer Tradition" aus? "Vielleicht ist es der sichtbare Handwerksstolz, den sie ausstrahlen, eine Gediegenheit, eine Liebe zur Qualität, aus der ein anderes Menschenbild spricht als aus den standardisierten, technisierten, entfremdeten Bauten der Gegenwart. Vor neunzig Jahren (...) haben die Gewerke hier fast schon mit der religiösen Inbrunst von Kathedralenbauern Schönheit, Detailliebe, Solidität und Dauerhaftigkeit geschaffen. Was bedeutet das? Ein anderes Verhältnis zur vergehenden Zeit, aber auch eine andere Zukunftsgläubigkeit und ganz gewiss ein anderes Selbstbild, ein anderes Ethos." (Bild: Chilehaus von Fritz Höger. Foto: lumu / Wikipedia)

In der Zeit gibt ein ziemlich gereizter Benedikt Erenz unterdessen zu bedenken, dass das nun so stolze Hamburg sein architektonisches Erbe gerne mal verschleudert: "Denkmalschutz existiert nur dem Namen nach. Was weg muss, muss weg. So funktionierte die "wachsende Stadt" schon immer. Dafür wird dann mit großer Girlande irgendwo am Grindel oder am Hafenrand eine Tankstelle oder Telefonzelle aus den fünfziger Jahren unter Schutz gestellt, Doppelseite mit Kultursenatorin im Abendblatt."
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Literatur

Besprochen werden T.C. Boyles Roman "Hart auf hart" (NZZ), Ralf Rothmanns "Im Frühling sterben" (Freitag), Artur Beckers "Sieben Tage mit Lidia" (FR), Lea Singers "Anatomie der Wolken" (FR), Joachim Lottmans "Happy End" (SZ) und neue Lyrikveröffentlichungen von Ulf Stolterfoht (FAZ).
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Film



Der fünfte Terminator-Film entsetzt die Kritiker. Mit Ausnahme von Dietmar Dath, der den zeitreisetechnisch totalverschwurbelten Film in der FAZ innig herzt: Dickes Lob für Arnold Schwarzenegger, der in dieser Folge wieder dabei ist, "gut gearbeitet hat aber auch das Drehbuchduo Laeta Kalogridis und Patrick Lussier, das aus einer Handvoll Spielfilmen, einer Fernsehserie, Comics und sogar dem Quellenmaterial, aus dem James Cameron und Gale Anne Hurd sich einst bedienten, als sie den Terminator schufen, einen Bodenplan exzerpiert haben, auf dem in knapp zwei Stunden ein Science-Fiction-Plot wachsen darf, den die Kritik nur dann zu abstrus finden wird, wenn sie den Kontakt zu entsprechenden Genre-Standards nie gehabt oder irgendwann verloren hat."

"Thanks, but no thanks", tönt es da aus den anderen Sitzreihen: In der taz hat Anke Leweke zwar Freude am Wiedersehen mit Schwarzenegger, doch nervt sie am Film der "penetrante Hang, die nahe Zukunft visuell auszuerzählen, während James Cameron sie genialisch einfach mit ein paar Totenköpfen in Bildern von ewiger Düsterheit skizzierte" (worin ihr Anke Westphal von der Berliner Zeitung im wesentlichen zustimmen dürfte). Und David Steinitz (SZ) sah schlicht das "grausigste Blockbuster-Experiment dieses Kinosommers". Welt-Rezensent Harald Peters konnte immerhin "darüber lachen".

Außerdem: Für das ZeitMagazin unterhält sich Ijoma Mangold mit "Victoria"-Regisseur Sebastian Schipper. Gerhard Midding (Berliner Zeitung) schreibt zum Tod des Hollywood-Produzenten Jerry Weintraub.
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Kunst


Robert Frank: "Trolley - New Orleans" 1955. Aus dem Band "The Americans"

Im New York Times Magazine zeichnet Nicholas Dawidoff ein faszinierendes Porträt des 1924 in Zürich geborenen amerikanischen Fotografen und Filmemachers Robert Frank, dessen 1958 erschienener Band "The Americans" immer noch mehr über die USA erzählt als viel aktuellere Fotografien, so Dawidoff: "He personally was a camera, a tough, sensual receptor with an enticing remove that made others draw near. The people Frank admired were judgmental, unpredictable artists who satisfied his need for heightened experience. The jazz musician Ornette Coleman "didn"t like many things - a very hard critic," while the filmmaker and musicologist Harry Smith lived to insult people, lit fires, yelled "Heil Hitler" in Jewish restaurants and yet was "the only genius I ever met. He was open to how people could reveal something for other people,"" Frank says. "He lived uptown like a hermit, all alone with all his windows closed."" (Bis 16. August läuft im Essener Museum Folkwang noch die Ausstellung "Robert Frank. Books and Films 1947-2014", und hier noch ein langes Interview mit ihm.)

Sonja Vogel zeichnet in der taz ein Stimmungsbild von der Lage der zeitgenössischen Kunst in Russland. Ihr Fazit: Auch wenn mit der Garage gerade unter viel Beachtung ein Museum für zeitgenössische Kunst eröffnet wurde, arbeiten die wirklich Subversiven der Kunstszene - Vogel erwähnt David Ter-Oganyan und den Kurator Andrej Jerofejew - unter prekären Bedingungen oder sehen sich Gängelungen ausgesetzt: "Wer kann den Aktiven da vorwerfen, die Kunst brav zu halten, auf der sicheren Seite zu bleiben, wenn sich die Schlinge zuzieht? Die zeitgenössische Kunst in Russland ist defensiv geworden - wie man es in der Garage sieht - und ohne Kontakt zur fragilen Zivilgesellschaft, die sich insbesondere nach den Protesten gegen die Wahlfälschungen 2011 und 2012 entwickelt hat."

Außerdem: Eckhard Fuhr reist für die Welt durch die mitteldeutsche Povinz und besucht Ausstellungen zum 500. Geburtstag von Lucas Cranach dem Jüngeren in Wittenberg, Klieken und Dessau.

Besprochen werden die Barbara Hepworth gewidmete Retrospektive in der Tate Britain (taz), die Ausstellung zum Deutschen Börse Photography Price im MMK3 in Frankfurt (FR) und die Ausstellung "Wikinger!" auf der Schallaburg in Niederösterreich (FAZ).
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