Efeu - Die Kulturrundschau

Machen wir das Beste daraus

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04.06.2018. Der Standard lernt von Yona Friedman, dass die Architektur der Zukunft ohne Stadtzentrum auskommt. Die SZ findet derweil Mannheims neue Kunsthalle ziemlich großartig, die mit einer Jeff-Wall-Schau auch sehr gelungen eröffnet wurde, wie die FAZ befindet. Im Freitag erklärt Liao Yiwu, dass die Unfreiheit seiner Freunde in China auch seine eigene ist. In der Berliner Zeitung erkennt Shirin Neshat: Arabische Ikonen leben länger als westliche.  Critic.de bedauert das Ende der schrankenlos streitbaren Sitcom "Roseanne". Und ZeitOnline beobachtet Kanye Wests Flucht in die Bipolarität.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.06.2018 finden Sie hier

Architektur

Entwurf einer Ville Spatiale, 1958. Abbildung: Centre Pompidou Metz


Der Architekt, Stadtplaner und Visionär Yona Friedman, der morgen mit dem mit dem österreichischen Friedrich-Kiesler-Preis ausgezeichnet wird, erklärt im Standard-Interview mit Wojciech Czaja, warum er nicht an das Glatte und Aufgeräumte glaubt, wie die Stadt der Zukunft aussehen wird und was es mit seiner Ville spatiale auf sich hat: "Die 'Ville Spatiale' ist heute die Cloud, die über der realen, analogen Stadt schwebt. Man arbeitet von zu Hause, man ist örtlich ungebunden, man muss weniger verkehren, und letztendlich brauchen wir heute keine Versammlungspunkte und irgendwann einmal auch kein Stadtzentrum mehr, denn unser Leben verlagert sich mehr und mehr in die Cloud, in die virtuelle Parallelstadt, die über der realen schwebt... In den heutigen Stadtzentren sind Sie mit Menschenmassen, zunehmendem Verkehr, steigenden Grundstückskosten, Infrastrukturproblemen, Security-Problemen und auch einem wachsenden Gewaltpotenzial konfrontiert. Wenn man in Zukunft nicht mehr in die Stadt hineinfahren müssen wird, wird ein Teil dieser Schwierigkeiten wegfallen. Ich will den heutigen Wandel nicht beklagen. Ich will mich auf das Positive darin konzentrieren. Machen wir das Beste daraus!"

Die Erweiterung der Mannheimer Kunsthalle durch Gerkan, Marg und Partner


Als mehrfaches Wunder feiert Gottfried Knapp in der SZ den neuen Erweiterungsbau der Mannheimer Kunsthalle durch Gerkan, Marg und Partner. Er verdankt sich der großzügen Spende des SAP-Gründers Hans-Werner Hector, aber auch dem mutigen Entschluss der Stadt, den alten, etwas unglücklichen Erweiterungsbau wieder abzureißen: "Der neue Museumsbau mit seinen Häusern, Gassen und dem Platz lässt sich wie eine Stadt in der Stadt erleben. Nach außen sorgt ein goldbronzefarbenes Metallgewebe, das die Kuben zu einem einheitlichen Würfel zusammenschließt, für einen unaufgeregten, sachlichen Auftritt des Museums in der Stadt. Vom regen Leben im Inneren aber geben die Fensterbänder bei Tag und Nacht eine verlockende Ahnung."

Jeff Wall: A view from an apartment, 2004/2005. Kunsthalle Mannheim.


Auch FAZ-Kritiker Katinka Fischer freut sich über den Aufstieg Mannheims in die "erste Liga der Museumsarchitektur", der von der großen Jeff-Wall-Eröffnungsschau "Appearances" passend eingeleitet werde: "Mit monumentalen, von hinten beleuchteten Diapositiven in Aluminiumkästen hat Jeff Wall Maßstäbe gesetzt. Stets wurden sie in Verbindung gebracht mit der französischen Malerei und der beginnenden Moderne, allen voran mit Manets Gemälden. Auch hält er sich mit Landschaften, Interieurs und Figurenbildern an die klassischen Bildgattungen. Darüber hinaus erweitern Motive wie das früheste 'Picture for Women' aus dem Jahr 1979, 'Restoration' oder 'Adrian Walker' die Grenzen der Fotografie vom abbildenden zum bildnerischen Medium. In der Praxis führt das zu der unsicheren Frage, ob es sein kann, dass, wie in 'The Flooded Grave', in einem offenen Grab Seesterne schwimmen."
Archiv: Architektur

Literatur

Cornelius Dieckmann hat sich für den Freitag zum Gespräch mit dem Schriftsteller Liao Yiwu getroffen, der seit 2011 in Deutschland lebt. Wirklich frei fühlt sich Liao Yiwu im Exil allerdings nicht, wie er erklärt: "Freunde wie die Künstlerin Liu Xia und der Autor Li Bifeng sitzen noch immer in China fest und leiden. Ihre Unfreiheit bedeutet auch meine Unfreiheit. ... In China passieren Dinge, die jenseits der Fantasie des besten Schriftstellers sind. Nehmen wir das Wetter: In vielen Städten gibt es ein Smog-Problem, dauernd ist der Himmel bedeckt. Aber wenn eine wichtige Persönlichkeit aus dem Ausland zu Besuch kommt, sorgt die Regierung mithilfe von Chemikalien dafür, dass der Smog sich verzieht und die Sonne scheint. Wer kann sich sowas ausdenken?"

Weitere Artikel: René Hamann resümiert in der taz das Berliner Poesiefestival, das sich in diesem Jahr erstmals in einer verschlankten Version präsentiert hat. Für die Berliner Zeitung hat Cornelia Geißler die Schriftstellerin Cornelia Funke getroffen.

Besprochen werden Thomas Manns "Joseph und seine Brüder" in der Großen Kommentierten Frankfurter Ausgabe (taz), der zweite Teil von Haruki Murakamis Roman "Die Ermordung des Commendatore" (Zeit), Amos Oz' Erzählband "Wo die Schakale heulen" (Freitag), Iso Camartins "Die Kunst des Lobens. Zur Rhetorik der Lobrede" (SZ), Ralf Rothmanns "Der Gott des Sommers" (FR), Robert Seethalers "Das Feld" (Welt), die Ausstellung "Die Manns am Bodensee" im Hesse-Museum in Gaienhofen (FAZ) und neue Krimis, darunter zwei Philip-Kerr-Veröffentlichungen (FAZ).

In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Ruth Klüger über Hirsh Gliks "Partisanenlied":

"Sage nie, du gehst den letzten Weg!
Trotz grauem Himmel und kein blauer Tag,
die ersehnte Stunde kommt wie Paukenschlag.
..."
Archiv: Literatur

Kunst

Still aus Shirin Neshats Film "Looking for Oum Khultum"


Im Interview mit der Berliner Zeitung spricht die iranisch-amerikanische Künstlerin Shirin Neshat über die arabische Moderne, die Arbeit einer Künstlerin und ihren Film über die große Sängerin Oum Kulthum: "Anfangs dachte ich, dass ich einen Film über eine Frau machen werde, die zur größten Künstlerin des 20. Jahrhunderts wurde. Darüber, wie wenig traditionell sie war. Ich wollte damit auch der Welt, vor allem der westlichen, zeigen: Wir aus der arabischen Welt, von denen ihr glaubt, dass sie so fanatisch sind, wir hatten ein Frau, die zu einer kulturellen Leitfigur wurde. Als sie starb, gingen vier Millionen Menschen auf die Straße."

Besprochen werden die Muhammad-Ali-Ausstellung "Now you see me!" in der Bildhalle Zürich (NZZ) und die KI-Ausstellung "Pendoran Vinci" im NRW Kunstforum (FAZ).
Archiv: Kunst

Musik

Auf seinem neuen Album "Ye" präsentiert sich Kanye West als bipolarer Superheld - das ist nur folgerichtig angesichts der bizarren öffentlichen Persona, als die der Rapper mittlerweile im Hauptberuf reüssiert, schreibt Dirk Peitz, der sich auf ZeitOnline todesmutig ins Gestrüpp des West-Phänomens begibt: Rein textlich ist das Album "ein weiteres Dokument der Verstrickung zwischen einem Künstler und einem mehr oder weniger geneigten, womöglich auch eher fasziniert abgeschreckten Publikum, das nicht mehr genau wissen kann (oder will), ob es seit Jahren einer Tragödie oder einer Farce folgt." Und die Musik selbst? Die ist "durchwachsen", urteilt Felix Zwinzscher in der Welt: "West erfindet nichts neu, sampelt sich quasi selbst." Julian Dörr in der SZ hält das Album "für das bislang unspektakulärste" des Rappers, den er schlussendlich aber doch als "Visionär mit der Neugier eines Kindes" feiert.

Weitere Artikel: Christine Käppeler plaudert im Freitag mit Daniel Richter über 30 Jahre Buback Records. Jan Paersch führt in der taz durch Wiens junge Musikszene, die die Grenzgebiete zwischen Elektronik und Jazz erforscht. Christian Schachinger erinnert im Standard daran, dass Michael Jackson, Prince und Madonna als Pop-Dreigestirn der 80er in diesem Jahr gemeinsam ihren 60. Geburtstag hätten feiern können. Alexis Petridis berichtet im Guardian von seinem Treffen mit Can-Gründungsmitglied Irmin Schmidt. Auf Pitchfork erinnert Sasha Geffen an das 1994 erschienene Hole-Album "Live Through This". Bei seinem Berliner Konzert in der Mehrzweckhalle am Ostbahnhof hat es sich Roger Waters wieder einmal nicht nehmen lassen, lautstark für die antisemitische BDS-Kampagne zu werben, berichten Frank Junghänel (FR) und Jörg Wunder (Tagesspiegel). Für die taz porträtiert Andreas Hartmann den Berliner Schlagzeuger Tony Buck, dessen Musik sich zwischen Ambient und Jazz bewegt. Hier ein Video aus seinem neuem Album "Unearth":



Besprochen werden das neue Album "Age Of" von Oneothrix Point Never (Spex, mehr dazu hier), sowie Konzerte von Blumfeld (taz), Guns N'Roses (Tagesspiegel), Bill Murray mit Jan Vogler & Friends (Tagesspiegel), Car Seat Haedrest (Tagesspiegel), Igudesman & Joo (NZZ), Kate Perry (NZZ) und der Auftakt des Primavera Festivals in Barcelona mit Björk, Jane Birkin und Charlotte Gainsbourg (Tagesspiegel).
Archiv: Musik

Bühne

In der SZ antwortet der Kölner Intendant Stefan Bachmann auf die Vorwürfe, am Schauspiel eine Atmosphäre der Angst geschaffen zu haben. Ebenfalls in der SZ bemerkt Wolfgang Kralicek, dass die Wiener Festwochen nach zwei disparaten Jahren allmählich wieder Tritt fassen. Thomas Ribi stimmt in der NZZ auf die Zürcher Festspiele ein.

Besprochen werden Georges Feydeaus "Klotz am Bein" am Schauspiel Frankfurt (FR) und Constanza Macras' Stück "Hillbrofication" mit südafrikanischen Jugendlichen am Berliner Gorki Theater (Tagesspiegel).
Archiv: Bühne

Film

Kurzes Revival: Die Serie "Roseanne"
Lange hat das Revival der in den Neunzigern gefeierten Sitcom "Roseanne" nicht gedauert: Nach einem rassistischen Tweet von Roseanne Barr wurde die Serie vergangene Woche nach ihrer ersten Comeback-Staffel kurzerhand wieder abgesetzt. Michael Kienzl erklärt auf critic.de, warum er diese Reaktion für schwierig hält Die Serie war nämlich schon immer die Arena, in der drängende soziopolitsche Fragen diskutiert wurden. "Die Entscheidung, Roseanne abzusetzen, ist symbolisch gemeint, weil sie demonstrieren soll, dass Rassismus sanktioniert wird. Symbolisch ist sie aber noch auf eine andere Weise, weil hier ausgerechnet eine Serie geopfert wird, die für eine schrankenlose Streitkultur steht, für die sich ihre liberalen Kritiker oft zu fein sind ... Die Erzählperspektive wird zwar vom Wertesystem einer weißen Arbeiterfamilie geprägt, aber in ihre Welt dringen alles andere als nur Gleichgesinnte."

Einen genau entgegen gesetzten Standpunkt formuliert Adrian Daub auf ZeitOnline: "Der Witz setzt voraus, dass es nur politische Korrektheit sein kann, wenn ein Fernsehkanal Asiaten oder Schwarzen gönnerhaft 'ihre' Sendungen gibt. Die Vorstellung, dass schwarze und asiatische Familien auch gerne fernsehen, dass es ihnen vielleicht nicht darum geht, wie Roseanne und Dan zu sein, kommt der Sendung nicht in den Sinn."

Weiteres: Für die Berliner Zeitung porträtiert Sarah Pepin die mit Paul Thomas Andersons "Phantom Thread" bekannt gewordene Schauspielerin Vicky KriepsIm Gespräch mit der Berliner Zeitung legt Wim Wenders anlässlich seines Papst-Porträtfilms Zeugnis ab über seinen Glauben. Besprochen wird Heinz Brinkmanns Dokumentarfilm "Usedom - Der freie Blick aufs Meer" (FR).
Archiv: Film