Efeu - Die Kulturrundschau

Keine Feinde und keine Gewinnwarnung

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08.10.2019. Die Welt lernt von Banksy, dass Trash im Auktionshaus alles verliert, was an ihm böse und stinkig ist.  Einen Puccini der Extraklasse bejubelt die FR mit der Frankfurter "Manon Lescaut". Die Berliner Zeitung wirft einen Blick auf das Elend der Fast Fashion. Pitchfork kürt schon die wichtigsten Songs der zehner Jahre. Und: Sigourney Weaver wird siebzig, die Feuilletons feiern den Appeal ihrer Intelligenz
9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.10.2019 finden Sie hier

Kunst

Banksys "Devolved Parliament". Foto: Banksy/Sotheby's

Nach der Versteigerung von Banksys "Affenparlament" für elf Millionen Euro, aber auch nach Jeff Koons' unerwünschtem Tulpenstrauß für Paris bläst Hans-Joachim Müller in der Welt zum Generalangriff. Für ihn ist schon gar nicht mehr die Frage, ob Banksy Trivialität, Kitsch und Trash ist, sondern warum sich der Markt so bereitwillig damit bedienen lässt: "Keine andere Kultursparte hat aus der Mustererfüllung kapitalistischen Wirtschaftens so viel Publikumszuspruch gewonnen. Weshalb zum gleichsam naturwüchsigen Kunstbetriebsgesetz gehört, alles, was sich in Opposition positioniert, unverzüglich den Wonnen des Marktes zuzuführen. Die Branche kennt in Wahrheit keine Feinde und keine Gewinnwarnung. Sie ist wie geschaffen für Spieler, die sich mit beifallspflichtiger Eleganz zwischen 'U' und 'E' hindurchschlawinern. Trash im Museum: Seit Pissbecken-Zeiten ist man auf jede noch so krude Überraschung vorbereitet. Schon möglich, dass die Banksy-Karriere einst mit kalkuliertem Trash begann. Im Auktionshaus, beim Millionendeal, verliert der Trash alles, was an ihm böse, stachelig, ungemütlich, stinkig gewesen sein mag. Was bleibt, ist Wertmüll. Ein Kunstding, das sich auf Kommando selber zerstört, um dabei aus Müll Wert zu schöpfen. Ein Gemälde im Cinemascope-Format, dass es zwei Leute braucht, um die bescheidene Sinneinwaage eines Affenparlaments so lange hochzustemmen, bis es als Hochpreisaktie vollends sinnlos geworden ist."

Besprochen werden die Ausstellung "Ethereal" im Fotografie Forum Frankfurt (in der FR-Kritikerin Silvia Staude Norwegen und die Norweger "nicht als kalt und scharfkantig, vielmehr als im Licht flimmernde, fast verschwindende Präsenzen" begegneten), die Ausstellung "Up in Arms" im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien über Orte, an denen Waffen hergestellt werden (taz) und die die Schau "Inspiration Matisse" in der Kunsthalle Mannheim (FAZ).
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Bühne

Joshua Guerrero und Asmik Grigorian in Puccinis "Manon Lescaut". Foto: Barbara Aumüller / Frankfurter Oper

Einen Puccini der Extraklasse erlebte die bewegte FR-Kritikerin Judith von Sternburg in Frankfurt, mit Asmik Grigorian und Joshua Guerrero auf der Bühne und Lorenzo Viotti am Dirigentenpult: "Der Operntod, dem der irrige Ruf vorausgeht, er sei schön, zeigt sich in der neuen 'Manon Lescaut' am Frankfurter Opernhaus als der Abgrund von Verzweiflung, der er ist. Man sieht, wie De Grieux in den Hintergrund abgeht, um doch noch einmal nach Hilfe und Rettung zu suchen, ganz unpathetisch, ganz klag- und ganz sinnlos, stellvertretend für alle, die das je versucht haben und noch versuchen werden. Man hört Manon singen, herausschreien, dass sie nicht sterben will, und sie schreit das heraus, aber sie und wir wissen, dass es genau so kommen wird. Erst recht weiß es die Musik von Giacomo Puccini, die heute Abend alle Süße abgelegt hat, transparent und schnittig, später hart und scharf ist, Paukenschläge wie Schüsse, wimmernde und drohende Streicher, Blechbläser, die zwischenzeitlich alle milde ausbalancierte Zurückhaltung fahren lassen. Der Tod ist keine Melancholie, der Tod ist ein Schrecken."

Weiteres: Peter Laudenbach imponiert es in der SZ, wie couragiert der Dresdner Intendant des Staatsschauspiel, Joachim Klement, auf Auseinandersetzung mit der AfD setzt. Annette Walter stellt in der taz die Regisseurin Anta Helena Recke vor, die gerade als aufsteigender Stern der Theaterszene gehandelt wird und an den Münchner Kammerspielen "Die Kränkungen der Menschheit" inszeniert. Margarete Affenzeller portratiert den Wiener Schriftsteller und Dramatiker Philipp Weiss. Für die Nachtkritik hat Oliver Kranz in Matera Milo Rau und seine Kampagne "Rivolta della Dignita" begleitet.

Besprochen werden Jeremy O. Harris' Drama "Slave Play" am Broadway (das Verena Lueken in der FAZ als "brüllend komisch, grausam, sexuell explizit, provokant, mitreißend wie niederdrückend" bejubelt), Tobias Kratzers Inszenierung von Rossinis "Tell" in Lyon (SZ, NMZ) und ein Abend über Künstliche Intelligenz in den Frankfurter Landungsbrücken (FR).
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Film

Kampfansage an all die Stallones und Schwarzeneggers: Sigourney Weaver in "Aliens"

Sigourney Weaver wird 70, das Feuilleton gratuliert - insbesondere auch zu ihrer Lebensleistung, denn sie hat "das Bild der Frau auf der Leinwand für immer verändert", schreibt Nina Jerzy in der NZZ: "Im Action- und Horrorfilm gibt es eine Zeit vor und eine Zeit nach Ellen Ripley, der Heldin aus 'Alien'." Somit stelle Weaver in den 80ern ein Alternativmodell zum testeron-getränkten Muskelberg-Kino dieser Jahr dar und zwar "nicht nur wegen ihres Geschlechts, sondern weil sie mehr als pragmatische Überlebenskünstlerin denn als waffenschwingende Muskelmaschine auftrat", schreibt Sofia Glasl in der SZ. "Auch durchlief sie, anders als viele männliche Actionfiguren, eine charakterliche Entwicklung." Auch hohe Schauspielkunst jubelte sie dem Spektakelkino unter: "Sie spielt klar wie Glas, in dem das Feuer bewahrt bleibt, mit dem man sein Rohmaterial transparent geschmolzen hat", schreibt daher Dietmar Dath in der FAZ, "und manchmal sieht's, wenn sie belustigt lächelt, so aus, als habe sie eben noch einmal von der Flamme gekostet. Anders als bei vielen weiblichen Hollywood-Stars sonst ist das erotische Moment in Diktion, Mimik und Gestik der Künstlerin Sigourney Weaver kein Locksignal des Unbewussten, das, dem eigenen Magnetismus gegenüber ahnungslos, mit dem Publikum kokettiert, sondern steht für ein (allerdings stark sinnliches) Intelligenzprinzip." Aber auch als Komödiantin ist sie hervorragend, schreibt Andreas Busche im Tagesspiegel und erinnert an ihre Rolle in "Ghostbusters": "An Weavers sprödem, mit kühler New-York-Aristokratie imprägniertem Charme perlten die pubertären Anzüglichkeiten Murrays ab wie Regentröpfchen."

Weiteres: Am Rande des Zurich Film Festivals konnte René Scheu mit Oliver Stone plaudern. Besprochen wird die kolumbianische Netflix-Serie "Frontera Verde" (Presse).
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Design

Die Ausstellung "Fast Fashion - die Schatten seiten der Mode" im Museum Europäischer Kulturen in Berlin gibt Susanne Lenz sehr zu denken: Jede Schulklasse und die gesammelte Fridays-for-Future-Bewegung sollte man hierher bringen, schreibt sie in der Berliner Zeitung, denn gerade die Klimabewegung hat das Thema Kleidung bislang noch gar nicht im Blick: "Dabei ist der CO2-Ausstoß der Modeindustrie höher als der durch internationale Flüge und Kreuzfahrten verursachte zusammen. ... Immer wieder geht es um den Verbleib gebrauchter Kleidung, etwa in der Arbeit des niederländisch-kanadischen Fotokünstlers Paolo Woods. Er thematisiert mit seiner Arbeit 'Pepe' die Rückkehr von Kleidung aus den USA an ihren Produktionsort Haiti. Die T-Shirts mit den dümmsten Sprüchen, die kein Second-Hand-Laden in den USA mehr haben will, werden dann hier verkauft. Sie wirken wie eine Erniedrigung derer, die sie tragen. Ganz abgesehen davon, dass dieser Re-Import haitianischen Schneidern die Existenzgrundlage entzogen hat." Und hinzu kommt noch, dass "die meist in Asien lebenden Textilarbeiterinnen schlecht bezahlt werden und unter schlechten, unsicheren Bedingungen arbeiten."
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Literatur

Vor der für Donnerstag angekündigten Bekanntgabe der diesjährigen Nobelpreis-Doppeltvergabe blickt Manuel Müller in der NZZ zurück auf das Krisenjahr 2018 der Schwedischen Akademie. Außerdem meldet die FAZ, dass der von der FAZ gestiftete Michael-Althen-Preis in diesem Jahr an Verena Lueken für ihre vergangenes Jahr in der FAZ veröffentlichte Laudatio auf den Schriftsteller Richard Ford geht.

Besprochen werden der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Dolf Sternberger (online nachgereicht aus der FAS), Jochen Schimmangs Erzählband "Adorno wohnt hier nicht mehr" (taz), Alexander Osangs "Die Leben der Elena Silber" (NZZ, FAZ), Volker Weidermanns Buch "Das Duell" über das Verhältnis zwischen Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki (Tagesspiegel), Eugen Ruges "Metropol" (Berliner Zeitung), Retif de la Bretonnes "Die Nächte von Paris" (FR), Tonio Schachingers für den Buchpreis nominierter Fußballroman "Nicht wie ihr" (FR), Peter Kurzecks "Der vorige Sommer und der Sommer davor" (NZZ) sowie die neuen Romane von Jostein Gaarder und Martin Simons (SZ).

Mehr auf unserem literarischen Meta-Blog Lit21 und ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
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Musik

Das Jahrzehnt neigt sich seinem Ende entgegen: Pitchfork kürt daher schon auf der Zielgeraden die 200 wichtigsten Songs der 10er-Jahre. In dieser Dekade "machte es der technologische Fortschritt leichter denn je in der Geschichte, Musik zu schaffen, zu vertreiben und zu hören", heißt es dazu in der Einleitung. "Produzenten und Künstler arbeiteten in der Cloud zusammen, sie mischten die Stile wie Tränke, von Emo bis Trap zu EDM-Balladen, Indie-R&B und Bedroom-Pop. Eine Million verschiedene Distributionswege bedeuten, dass man diese Stücke bereits Millisekunden nachdem sie geboren wurden hören konnte. Die Künstler begannen damit, Musik in einem nie zuvor gekannten Tempo zu veröffentlichen. Das unendliche Scrollen durch Social Media machte die Hörer unersättlich. Das Resultat all dessen war Segen und Fluch zugleich: Es gab mehr großartige Musik da draußen als je zuvor, aber damit auch Schritt zu halten war nahezu unmöglich." Im beigefügten Editorial erklärt Puja Patel, dass fast sechs Monate emsigen Arbeitens nötig waren, um diese Liste gemeinschaftlich zu erstellen. An deren Spitze: "Alright" von Kendrick Lamar - und die nächsten 99 Positionen sind in der folgend eingebundenen Playlist praktischerweise ebenfalls zu hören.



Weiteres: Ueli Bernays gratuliert Cher in der NZZ zum 55-jährigen Bühnenjubiläum. In der FAZ freut sich Jannik Schäfer darüber, dass zahlreiche Protagonisten des zu Unrecht lange Zeit in Vergessenheit geratenen Labels Black Jazz Records für ein Doppelkonzert heute nach Paris und am 10. Oktober nach Berlin kommen.

Besprochen werden das neue Album "Ghosteen" von Nick Cave und den Bad Seeds (Berliner Zeitung, The Quietus, mehr dazu hier und dort), das neue Wilco-Album "Ode to Joy" (Pitchfork), One Sentence.Supervisors Album "Acedia" (taz), das Pop-Debüt "Taxi Galaxi" des Beststeller-Autors Frank Schätzing (SZ, Welt) und neue Afropop-Veröffentlichungen, darunter die EP "No Romance" von Bantou Mentale (SZ).

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