Efeu - Die Kulturrundschau

For there is always light

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21.01.2021. Der Kunst hat Donald Trump nicht gut getan, notiert monopol angesichts der doch reichlich banalen Protestkunst aus dieser Zeit. Auch Hollywood wird Trump nicht vermissen, hat er doch dessen China-Träume zerschlagen, erzählt die NZZ. Vielleicht wird's mit Biden besser, das Gedicht von Amanda Gorman zu seiner Inauguration lässt die taz jedenfalls hoffen. Die FR amüsiert sich mit der Science-Fiction-Miniserie "Eternal Peace" des Frankfurter Schauspiels. Die taz hört beim Berliner CTM-Festival "Sisters with Transistors", darunter die Klangkünstlerinnen Éliane Radigue und Pauline Oliveros. Die New York Times stellt eins der am häufigsten geklauten Gemälde vor.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 21.01.2021 finden Sie hier

Literatur

"When the day comes we step out of the shade aflame and unafraid, the new dawn blooms as we free it, for there is always light if only we're brave enough to see it, if only we're brave enough to be it."

Was für ein Gänsehautmoment gestern, als die junge Dichterin Amanda Gorman gestern auf dem Kapitol, wo vor zwei Wochen noch marodierende Rechtsextreme die Tore stürmten, zur friedlichen Amtsübergabe an Joe Biden ihr inaugural poem "The Hills we Climb" (hier der Volltext) vorlas und die Verse und Sätze mit ihren feingliedrigen Gesten unterstrich:



Das Gedicht sollte den Akzent auf Versöhnung legen, schrieb Benno Schirrmeister gestern in der taz noch im Vorfeld der Inauguration: "Aber durch die Berufung der intersektionalen Aktivistin Amanda Gorman als Inaugural-Poet macht Bidens Team klar,dass Versöhnung nicht Harmoniesülze bedeutet. ... Das Team Biden hätte eine bequemere Wahl treffen können, aber keine schlauere. Denn so eine Inaugural Poet soll ja auch ausgleichen, was als Defizit des neuen Amtsinhabers gilt. Großväterlicher weißer neuer Präsident, junge schwarze Dichterin: Der Kontrast ist gut." Susanne Lenz liefert in der Berliner Zeitung ein paar Hintergründe zu der Dichterin, die in den USA in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt hat, in Deutschland aber noch weitgehend unbekannt ist. Gormans Ambitionen sind sympathisch: "Ihre selbstbewusste Ankündigung, sie werde 2036 für das Präsidentenamt kandidieren, ist möglicherweise ernst zu nehmen."

Außerdem: Bereits vor einem Jahr sprach Gorman in einem TED-Talk über Lyrik und Politik:



Weitere Artikel: Für 54books spricht Viktor Funk mit dem Übersetzer Hans-Joachim Hartstein. Hans Jakob Meier schreibt in der FAZ über die 1981 gestorbene Osnabrücker Buchhändlerin Friedel Hanckel, die Siegfried Kracauer als (alles andere als freiwilliges) Vorbild für eine Figur in dessen Roman "Ginster" diente, wie aus jetzt aufgetauchter Korrespondenz hervorgeht.

Besprochen werden unter anderem  Viktor Martinowitschs "Revolution" (taz), Peter Fabjans "Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard" (Tagesspiegel), David Schalkos "Bad Regina" (SZ) und James Noëls Roman "Was für ein Wunder" über das Erdbeben von Haiti (FAZ).
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Kunst

Was bleibt - künstlerisch gesehen - von den Trump-Jahren? Nicht viel, fürchtet Saskia Trebing in monopol. Ein bisschen Protestkunst, die sich kaum mit Ruhm bekleckert hat. "Viele der Anti-Trump-Werke waren nicht weniger plump als der Populismus, den sie kritisieren sollten. 'Eines der ersten Opfer der Trump-Präsidentschaft war die Nuanciertheit', heißt es im Time-Magazin. Das Problem für die Kunst war die Unmöglichkeit, den König des Spektakels zu überbieten und mit der Schlagzahl der immer neuen Ungeheuerlichkeiten Schritt zu halten. Jede Parodie von Trump wirkt im Rückblick eher wie eine gemäßigte Version des realen Präsidenten als wie eine Übertreibung. Außerdem war die Vermischung von Fakt und Fiktion, eine ureigene Qualität der Kunst, plötzlich Regierungstaktik. 'Er hat ihr ein Stück DNA entrissen', schrieb Timo Feldhaus 2017 mit Blick auf die Kunstszene."



In der New York Times erzählt Graham Bowley von dem vielleicht am häufigsten geklauten Bild der Kunstgeschichte: "Zwei lachende Jungen mit einem Bierkrug" von Frans Hals, das in einem kleinen Museum im niederländischen Leerdam hängt. Drei mal wurde es seit 1988 gestohlen. Tatsächlich gibt es immer wieder einzelne Bilder, die Kunstdiebe offenbar unwiederstehlich finden, erfahren wir. "Versionen von Edvard Munchs 'Der Schrei' wurden 1994 und 2004 aus Museen in Oslo entwendet. 'Das Kornfeld' von Jacob van Ruisdael wurde dreimal aus einem Herrenhaus südlich von Dublin gestohlen, darunter einmal von der Irischen Republikanischen Armee. Rembrandts Porträt 'Jacob de Gheyn III' wurde so oft aus der Dulwich Picture Gallery in London gestohlen (viermal zwischen 1967 und 1983), dass es als 'The Takeaway Rembrandt' bekannt ist. Obwohl einige die Vorstellung hegen, dass Diebe im Auftrag von Bürgern stehlen, die vom Goldenen Zeitalter der Niederlande fasziniert sind, halten Experten die Motive für solche Diebstähle für eher banal." Die Dieben haben schlicht gegoogelt und festgestellt, dass das Bild schon mehrmals gestohlen wurde - also muss es wertvoll sein. Wirklich banal, aber es ließe sich ein guter Film daraus machen!

Weiteres: Andre Görke hat im Tagesspiegel Spazierwege in Berlin zusammengestellt, die zu Werken des Bildhauers Volkmar Haase führen. Im Tell Magazin erforscht Florian Knoeppler sein Gewissen, ob er das Geburtstagsgeschenk seiner Tochter, eine Radierung von Otto Thämer, abhängen soll, weil der Mann ein Nazi war, oder nicht. In der Zeit stellt Peter Kümmel die  Stuttgarter Künstlersoforthilfe vor.
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Film

Andreas Scheiner blickt in der NZZ auf Hollywood unter Trump, der mit seiner De-Regulierung zum Beispiel den großen Disney/Fox-Deal und damit eine erhebliche Kartellbildung möglich gemacht hat und außerdem die seit den späten Vierzigern bestehende Paramount Decision, nach dem es den Studios nicht mehr gestattet war, eigene Kinoketten zu betreiben, kassiert hat. Weit folgenreicher für die Filmindustrie dürfte aber wohl Trumps Konfrontationskurs gegen China gewesen sein, auf das Hollywood seit geraumer Zeit als Exportmarkt spekuliert: "Von der Filmindustrie erwartete Trump, dass sie spurte. Der damalige Justizminister William Barr beklagte noch im Juli 2020 den 'Kotau' Hollywoods vor der Kommunistischen Partei, Außenminister Mike Pompeo sprach im selben Monat von Selbstzensur im 'Epizentrum der kreativen Freiheit'. ... 'Es ist, als stürze ein blinder, betrunkener Stier in einen Porzellanladen", sagte Rob Cain, von NBC auf die filmpolitischen Implikationen der Verwerfungen angesprochen. Der Produzent und Gründer der Branchenplattform ChinaFilmBiz.com sieht kaum mehr Hoffnung für Hollywoods China-Träume. 'Die Dinge waren schon vorher sehr heikel und angespannt', sagte er. 'Der Konsens ist, dass dies katastrophal ist für Hollywood.'"

Weitere Artikel: Fabian Tietke empfiehlt in der taz die Online-Retrospektive "Der andere Wiener Film" des Filmarchivs Austria, das Raritäten aus den 30ern zeigt. In der SZ verneigt sich David Steinitz vor Charlie Chaplins Komödie "The Kid", die vor 100 Jahren in die Kinos kam.
Archiv: Film

Bühne

Szene aus "Eternal Peace". Foto: Schauspiel Frankfurt


Das ist mal eine Idee: Weil die Premiere von "Eternal Peace" am Frankfurter Schauspielhaus im November wegen Corona verschoben wurde, machte Autor Alexander Eisenach eine Science-Fiction-Miniserie daraus, erzählt eine erfreute und sehr angetane Judith von Sternburg in der FR: "Innerhalb von drei Tagen hergestellt, rückte sie den ursprünglich für die Videos in der Kammerspielaufführung zuständigen Filmregisseur Oliver Rossol in den Vordergrund, der mit Eisenach und dem Team pfiffig das Genre bedient. Nachdem die sechs Teile an fünf aufeinanderfolgenden Abenden (am Anfang wie bei jeder anständigen Serie eine Doppelfolge) freigeschaltet wurden, steht jetzt die komplette Staffel bereit. Zur Verpackung gehört ein Vorspann mit einem Testbild der Zukunft und Sven Michelsons Musik, danach ein rasantes 'was bisher geschah'. Das Spielerische und das Verkopfte, das Perfektionistische und das Improvisierte im Verein."

Weiteres: Rüdiger Schaper unterhält sich für den Tagesspiegel mit Herbert Fritsch, der heute 70 wird. Besprochen werden die Online-Performance "Who's Afraid of Raimunda" des Berliner HAU (taz), Teresa Doplers "Das weiße Dorf" in der Wiener Drachengasse und im Netz (Standard), die Stream-Uraufführung des Films "Sounds of Dortmund" von Houssie Shirin und Alvaro Schoeck durch das Dortmunder Opernhaus (nmz), Lehárs "Schön ist die Welt" als Video on Demand bei der Bayerischen Staatsoper (nmz) und das Theater-Game "Customerzombification 1 / Mein fremder Wille" von Borgtheater, vom Theater Vorpommern als Online-Premiere herausgebracht (nachtkritik). Außerdem annonciert die nachtkritik anlässlich der Lessingtage das Streaming der Filmproduktion "Voices of Europe - Visions for a Theatre of the Future".
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Musik

"Sisters with Transistors", ein Dokumentarfilm von Lisa Rovner

Das Berliner CTM-Festival zeigt Lisa Rovners Dokumentarfilm "Sisters with Transistors" über den Beitrag von Frauen zur Frühgeschichte der elektronischen Musik. Dabei geht es vor allem um akademische Musik, die allerdings oft in Sichtnähe zum "abenteuerlustigeren Pop" entstanden ist, schreibt Tim Caspar Boehme in der taz und erklärt uns im einzelnen, welche Komponistinnen vorgestellt werden: Éliane Radigue etwa war "fasziniert vom Klang der Flugzeuge, entwickelte Tonband-Delays und Feedbacks, um Musik aus lang gehaltenen, sich langsam verändernden Tönen zu erzeugen. ... Radigues Ansatz ist, ähnlich dem der US-Amerikanerin Pauline Oliveros, radikal in seiner reduzierten Herangehensweise. So wurden die Töne, oft endlose Drones, von Oliveros weniger gestaltet als erlebt, wie sie erzählt: 'Ich begann mich mehr dafür zu interessieren, was die Klänge selbst taten, als was ich mit ihnen tun könnte.' Dieses von Oliveros entwickelte 'Deep Listening' ist heute Teil einer umfangreichen elektronischen Subkultur, von der Radigue ebenso als eine ihrer Vorläuferinnen verehrt wird." Und das klang in den 70ern so:



Weitere Artikel: Arno Lücker schreibt in VAN über den Pianisten Ervin Nyiregyházi und in seiner Reihe über Komponistinnen außerdem über Francesca Caccini. Amira Ben Saoud plaudert im Standard mit der heute in London lebenden Ötztaler Rapperin Nenda über die Erfahrung, als Schwarze in Tirol aufgewachsen zu sein. Im Tagesspiegel annonciert Udo Badelt das Programm der digitalen Franz-Schubert-Woche des Berliner Pierre Boulez Saals. Jan Heidtmann berichtet in der SZ von den Hürden bei der Umbenennung einer Straßenkreuzung in Berlin-Schöneberg in David-Bowie-Platz. Felix Linsmeier schreibt in VAN einen Nachruf auf die Komponistin Lucy Hale. Außerdem listet Jeffrey Arlo Brown in VAN sämtliche Schubert-Lieder nach seinen persönlichen Vorlieben.
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