Efeu - Die Kulturrundschau

Etwas muss auch von unten leuchten

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15.04.2021. FAZ und Dlf Kultur empfehlen dringend Thorsten Körners Doku "Schwarzer Adler" über den Rassismus im deutschen Profi-Fußball. Die taz erzählt die Geschichte der fehlenden schwarzen Cowboys im amerikanischen Film. Müssen wirklich 2.000 stattliche Eichen fallen für das neue Dach von Notre Dame, fragt die SZ. Der Tagesspiegel berichtet über einen Skandal in Griechenland, wo der berühmteste Dramaturg des Landes über Jahrzehnte Minderjährige missbraucht haben soll.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 15.04.2021 finden Sie hier

Film

Szene aus der Doku "Schwarzer Adler"


In der FAZ ist Paul Ingendaay sehr beeindruckt von Torsten Körners Dokumentarfilm "Schwarzer Adler" (bei Amazon Prime, am 18. Juni im ZDF), in dem Fußballer wie Erwin Kostedde und Jimmi Hartwig die Erfahrungen schildern, die sie im Profisport mit Rassismus gemacht haben: ein trauriger, bewegender Film. "Zu seinem Glück interessiert sich dieser stille, fabelhaft komponierte Film (Schnitt: André Hammesfahr) nicht für die Schmähungen der Fans und deutet das Ausmaß der Anfeindungen nur sekundenweise an." Er "gehört der Minderheit, denen, die so viel eingesteckt und erlitten haben, ohne dass es ein Forum für ihre Geschichten gegeben hätte." Und Matthias Dell erklärt im Dlf Kultur: "Auch wenn der Film in seinen formalen Ideen nicht immer stilsicher wirkt, zu viel Musik einsetzt und überflüssige Kapitelüberschriften typografisch aufwendig performt - erzählt wird eine unerhörte Geschichte, die gerade im Archivmaterial auch ein Museum des alltäglichen weißen deutschen Rassismus ist." Weitere Besprechungen in taz und Freitag.

Daniel Moersener schreibt in der taz zur Geschichte der schwarzen Cowboys im Film - beziehungsweise über deren Fehlen darin. Denn "dem Historiker William Loren Katz zufolge war nach dem Ende des Bürgerkriegs jeder vierte Cowboy im US-amerikanischen Westen Schwarz." Bekannt wurden etwa Nat Love und Mary Fields. "In Montana wurde sie die erste Schwarze Postkutscherin des U.S. Postal Service wurde. Als 'Stagecoach Mary' war sie nicht nur für ihre Pünktlichkeit bekannt, sondern auch für ihre Vorliebe für Whisky und Schusswaffen. Derweil tat sich Hollywood schwer, für diese Freiheit entsprechende Bilder zu produzieren. Die ersten Schwarzen Cowboys eroberten die Leinwand in sogenannten 'race movies', auf ein segregiertes Schwarzes Publikum abzielende, abseits von Hollywood produzierte Titel."

Kati Kovács in "Das Mädchen" von 1968

Im Perlentaucher empfiehlt Thekla Dannenberg die Mubi-Retrospektive mit den Filmen der ungarischen Regisseurin Márta Mészáros: Deren Arbeiten sind gekennzeichnet durch einen "zarten, sensiblen Blick auf Menschen, sinnliche Kompositionen, eine intensive Filmsprache und den festen Willen, sich im Kampf um weibliche Autonomie von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen. ... Mészáros war die erste Frau überhaupt, die in Ungarn Filme drehte. Schon als junges Mädchen hatte sie beide Seiten der kommunistischen Kulturbourgeoisie kennengelernt, die glänzende und die stumpfe."

Weitere Artikel: Im ZeitOnline-Gespräch über die "Lovemobil"-Kontroverse tritt die Filmemacherin Elke Lehrenkrauss im Büßerinnengewand auf - Beistand leistet ihre frühere Dozentin Sabine Rollberg. In der Zeit wehrt sich Katja Nicodemus gegen die Vorwürfe des Filmemachers Marc Wiese (denen auch Beiträge in FAZ und Altpapier folgten, unser Resümees hier und hier), sie habe seine Vorgehensweise im Dokumentarfilm "Die Unbeugsamen" falsch dargestellt. Das berühmte Cinerama-Dome in Los Angeles - Quentin Tarantino setzte ihm in seinem letzten Film ein kleines Denkmal - ist von der Schließung bedroht, meldet Jürgen Schmieder in der SZ.

Besprochen werden Juliana Fanjuls hier als VoD angebotener Dokumentarfilm "Silence Radio" über die lebensgefährliche Arbeit der mexikanischen Journalistin Carmen Aristegui (taz), Cristi Puius auf Mubi gezeigter "Malmkrog" (SZ, unsere Kritik hier), Larry Rippenkroegers "Hot Water" (Perlentaucher) und Yuval Hadadis auf DVD erschienener "15 Years" (taz).
Archiv: Film

Architektur

Könnte man Notre Dame nicht architektonisch und technisch klüger wiederaufbauen als mit den Methoden des Mittelalters, fragt in der SZ Joseph Hanimann. Ökologisch ist das ja eher der Wahnsinn: "Tausend stattliche Eichen werden für den Wiederaufbau des mittelalterlichen Dachstuhls über Chor und Längsschiff nötig sein. Und nochmals tausend für das Querschiff und für Viollet-le-Ducs-Dachreiter mit der Turmspitze aus dem 19. Jahrhundert. Die Option einer Stahl- oder Betonkonstruktion, wie sie schon 1837 nach einem Brand in Chartres oder nach dem Ersten Weltkrieg in Reims zur Anwendung kam, wurde in Paris naserümpfend vom Tisch geschoben. So sind die ersten Bäume im März dieses Jahres, noch bevor sie neu treiben, in verschiedenen Staatsdomänen zwischen Normandie, Loire und Burgund gefällt worden: ehrwürdige Kolosse, 30 Meter hoch und bis zu 300 Jahre alt, im Beisein von Ministern und Ortshonoratioren krachten sie ins modernde Laub. Mit der ehrbar handwerklichen Meisterkunst soll ihnen nach achtzehnmonatiger Lagerung zu Leibe gerückt werden."

Martha Lemke (re. in ihrem weißen Kleid) mit einer Besucherin auf der Terrasse des Mies van der Rohe Hauses, 1933 Foto: Howard Dearstyne, Collection Centre Canadian d'Architecture


Joana Nietfeld besucht für den Tagesspiegel die Ausstellung "Gewand in drei Akten" im Mies van der Rohe Haus in Hohenschönhausen, wo man auch die Nachbildung eines Kleides bewundern kann, das damals für die Fabrikantengattin Martha Lemke gefertigt wurde: "Das Kleid ist einmalig - ein maßgefertigtes Unikat. Der cremefarbene Stoff wirkt fest und fließend zugleich, fällt nahtlos über die Schultern und endet dort, wo man die Ellenbogen vermuten würde. Aus dem Ausschnitt ragt ein akkurater Kragen und erinnert an ein Tennistrikot. Die Taille wird von einem gleichfarbigen Gürtel, mit einer Brosche aus Perlmutt, leicht betont. Der Saum endet im Kniebereich mit Faltenraffung."
Archiv: Architektur

Literatur

Im Standard porträtiert Michael Wurmitzer die Thrillerautorin Ursula Poznanski. Die Literarische Welt hat Sigrid Löfflers Liste mit den sie prägendsten Büchern online nachgereicht.

Besprochen werden unter anderem Zeps Comic "Der ferne schöne Klang" (Intellectures), Roberto Camurris "Der Name seiner Mutter" (SZ) und eine Neuauflage von Martin Salomonskis Mondreise-Roman "Zwei im andern Land von 1934 (FAZ).
Archiv: Literatur

Kunst


Bild links: Giovanni Battista Piazzetta, Engel im Gegenlicht © TLM / Bild rechts: Giovanni Battista Piazzetta, Gen Himmel blickender bärtiger alter Mann (Abraham der unvollendeten Londoner "Opferung Isaaks") © TLM

Im Tiroler Landesmuseum in Innsbruck kann man derzeit die Ausstellung "Piazzetta - Têtes d'expression" besuchen, mit Vorzeichnungen Giovanni Battista Piazzettas zu einem von Napoleon in Frankfurt geraubten Rokoko-Gemälde, das heute im Louvre hängt. FAZ-Kritiker Stefan Trinks, die "rasanten Verkürzungen" bestaunend, lernt hier was über Perspektive: "So (lebens-)nah wie nun in Innsbruck ließ sich noch nie studieren, dass der dunkelste Punkt bei Piazzetta stets in nur einem der Nasenlöcher liegt, in das der Blick so weit hineinkriecht wie derzeit der Abstrichstab der Corona-Tests. Die schönsten Beispiele hierfür sind das Selbstbildnis Piazzettas am Schluss der Enfilade aus vier Kabinetträumen sowie das 'Bildnis eines gen Himmel blickenden bärtigen Mannes' in schwarzer Kreide. Weit in den Rücken genommen ist der Kopf, die Augen als nächstdunklere Punkte sind weiß gehöht und wirken dadurch glasig, als sähen sie oben am Himmel ein numinoses Licht. Etwas muss allerdings auch von unten leuchten, denn der weiße Vollbart des Alten wird von unterhalb des Kinns bestrahlt, so dass er eine einzige überblendete Zone auf dem Papier ist."

Weiteres: Im Interview mit der taz stellt Katrin Mundt, Ko-Leiterin und Kuratorin des Filmprogramms für das European Media Art Festival in Osnabrück, das Online-Programmm des Festivals vor. Besprochen wird die Timm-Rautert-Retrospektive im Museum Folkwang in Essen (taz).
Archiv: Kunst

Musik

Stephanie Grimm porträtiert in der taz die in Berlin lebende, kolumbianische Musikerin Juliana Martínez. Für die SZ plauscht Joachim Hentschel mit Michael Stipe von R.E.M. unter anderem über dessen Vorlieben beim Büchersortieren. Reinhard J. Brembeck erinnert in der SZ an die Einführung der CD vor 40 Jahren, als sich besonders Herbert von Karajan in der Öffentlichkeit für das neue Medium stark machte.

Besprochen werden eine Rubinstein-Aufnahme von Schaghajegh Nosrati (SZ), neue CDs mit Aufnahmen Neuer Musik (NMZ) und neue Jazzveröffentlichungen (NMZ).
Archiv: Musik

Bühne

In Griechenland soll der Dramaturg Dimitris Lignadis mehr als dreißig Jahre lang wiederholt Minderjährige missbraucht haben, berichtet im Tagesspiegel Vassiliki Pothou. "Lignadis herrschte über seine Theaterwelt mit fast absoluter Macht. Junge Schauspieler und Mitarbeiter lagen ihm zu Füßen. Er hatte großen Erfolg. Der Narzisst fühlte sich wie ein allmächtiger Theatergott. Gerüchte über die seltsamen Neigungen des Regisseurs machten die Runde", dazu gehört, dass er "Minderjährige in einem Park mit Versprechungen über ihre berufliche Zukunft zu seiner Wohnung gelockt haben" soll. Lignadis "hatte seine Tentakel überall in der griechischen Gesellschaft ausgebreitet. Der Beschuldigte war auch seit Jahren an der Privatschule Arsakeion und anderen renommierten Schulen Athens tätig, um dort Aufführungen zu inszenieren. Das Ergebnis seiner Beschäftigung waren 285 Beschwerden wegen sexueller Belästigungen durch Lignadis und andere Lehrer und Lehrerinnen."

Um Probleme ganz anderer Art kümmert sich die Tanztheoretikerin Katja Schneider, die im Interview mit der FR das Problem umtreibt, dass man sich beim Tanzen anfasst. Muss das sein? "Für manche ist Berührung nur ein Mittel zum Zweck. Eine körperliche Grenze wird übertreten, um Macht auszuüben. Und auf der anderen Seite muss jemand diese Machtausübung erleiden. ... Wie ist denn, wenn man sich im Tanz nicht mehr berührt? Was fällt dann weg, welche Kommunikationsweisen? Oder ist das gar nicht so schlimm, dass man sich nicht berührt? Es ist für alle, die im Tanz- oder Schauspielbereich arbeiten absolut existenziell, sich jetzt damit auseinanderzusetzen."

Weiteres: Die nachtkritik startet heute um 18 Uhr auf Zoom ihr dreitägiges Online-Festival zum Netztheater in der Freien Szene. Frederik Hanssen schreibt im Tagesspiegel zum 100. Geburtstag des Opernkomponisten Engelbert Humberdinck. In Frankreich wurden rund hundert Bühnen besetzt, um gegen die Corona-Maßnahmen und für eine 32-Stunden-Woche zu protestieren, berichtet Marc Zitzmann in der FAZ.
Archiv: Bühne