Efeu - Die Kulturrundschau

Wo es interessant wird

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21.07.2015. Jaja, Abenteuer Internet, danke O2. Spät, aber doch noch: Für die Welt ist die Malerei der Jungen Wilden alles, aber keine Konzeptkunst. Im Standard erklärt der Comiczeichner Ben Katchor, warum er lieber kurze Geschichten zeichnet. Vergesst bei der Digitalisierung das Experimentelle nicht, ruft Kinemathek-Leiter Rainer Rother in der Berliner Zeitung. Die taz bleibt ungerührt von Abdullah Kenan Karacas "Romeo und Julia". Die NZZ geißelt den Krämergeist Bayreuths, der eine kritische Auseinandersetzung mit Richard Wagner verhindert.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 21.07.2015 finden Sie hier

Kunst

Ganz schön frisch, diese Bilder aus den 80ern, notiert ein recht überrascht wirkender Hans-Joachim Müller angesichts der großen Frankfurter Schau zur "figurativen Malerei in der BRD". Aber in einen Sinnzusammenhang mit Konzeptkunst stellen lässt sich das nicht pressen, findet er in der Welt. Im Gegenteil: ""Anything goes", es war die postmoderne Parole, die Einlass in die bürgerlichen Salons gewährte, und am Szeneort genauso galt. Die 29 Meter lange Wand im SO36 wurde zur Challenge der malbereiten Stammgäste. Bernd Zimmer brauchte nur drei Tage, um die 95 Quadratmeter mit einer wagonlangen S-Bahn zu bemalen. Am Abend legte er Lou Reed auf. Am nächsten Tag rollte er die Monsterleinwände wieder zusammen. "Man dachte", hat er sich später erinnert, "es muss so schnell gehen wie da. Der Porsche fährt schnell, die Musik geht ab, und so muss es auch mit dem Bild sein.""

Weitere Artikel: Julia Voss freut sich in der FAZ darüber, dass das Kunstmuseum Stuttgart Otto Dix" "Selbstbildnis mit Palette vor rotem Vorhang" angekauft hat. In der New York Frick Collection ist Frederic Lord Leightons "Flaming June" zu sehen, berichtet Peter Richter in der SZ.

Besprochen wird Julius von Bismarcks Ausstellung "Tiere sind dumm und Pflanzen noch viel dümmer" im Kunstverein Göttingen (taz).
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Literatur

Comiczeichner Ben Katchor, der in diesem Jahr an der Sommerakademie Salzburg unterrichten wird, erklärt im Interview mit dem Standard, warum er lieber kurze Geschichten zeichnet: "Die Leser sollen sich nicht in eine fiktionale Welt flüchten. Sie sollen lieber mit einem erneuerten Gefühl für kreative Möglichkeiten in ihr Leben zurückkehren. Das Vergnügen, das sich beim Lesen über die komplexen Themen einstellt, soll dazu inspirieren, die Welt in neuem Licht zu sehen."

Weitere Artikel: Rüdiger Schaper gesteht im Tagesspiegel sein Faible für im Urlaub gekaufte Bücher in Sprachen, die er nicht versteht. In der NZZ denkt Adrian Lobe über das Flanieren im digitalen Zeitalter nach.

Besprochen werden Harper Lees "Gehe hin, stelle einen Wächter" (Tagesspiegel, mehr), Ulrich Peltzers Roman "Das bessere Leben" (NZZ), Ricardo Piglias "Munk" (taz), Martin Burckhardts Science-Fiction-Roman "Score" (taz), Viktor Niedermayers "Finsterland" (Tagesspiegel), Hans Joachim Schädlichs "Narrenleben" (SZ) und Frank Witzels "Die Erfindung der Rote Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969" (FAZ, mehr).

Außerdem bringen die Berliner Festspiele in ihrem Blog eine Aufnahme von Altea Garrido und Irm Hermann, die Angélica Liddells Gedicht "Du bist Leben ohne Anfang und Ende (Er)" zweisprachig vortragen.

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Design

Besprochen wird die Kostas-Murkudis-Ausstellung im MMK2 in Frankfurt (FR).

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Stichwörter: Murkudis, Kostas

Film

In der Welt stellt Mona Ruzicka den chinesischen Regisseur Cheong Kin Man vor, der mit seinem 30-minütigen Erstling "Eine nutzlose Fiktion" international Furore macht: "Der Film hat keine Handlung, Bilder und Texte spiegeln vielmehr die Gedanken des Regisseurs. Er packt das Bild so voll, dass man mit Gucken und Hören nicht hinterherkommt. "Der Film ist das echte Leben", sagt er. "Wenn du mich anguckst, mir zuhörst, ignorierst du die ganze Welt.""

Im Gespräch mit Anke Westphal für die Berliner Zeitung verleiht Rainer Rother, künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek in Berlin, den Forderungen des Kinemathekenverbunds nach höheren Mitteln zur Bewahrung und Digitalisierung historischer Filmbestände und besserer Planungssicherheit für die Insitutionen Nachdruck. Derzeit könne nur ein geringer Bestandteil bewahrt werden: "Es hilft uns ja nichts, wenn wir nur die sogenannten großen Titel digitalisieren und dabei vergessen, dass es auch dokumentarische Arbeiten, Kinderfilme und filmische Entdeckungen in allen Epochen gibt (...) Digitalisierung darf sich nicht auf den engsten Kanon beschränken. Wenn wir Entdeckungen, Überraschendes, Experimentelles ausschließen, dann kappen wir das Filmerbe dort, wo es interessant wird."

Weiteres: Bert Rebhandl berichtet für den Standard vom Filmfestival in Odessa und gratuliert in der FAZ Béla Tarr zum Siebzigsten. Besprochen werden die Netflix-Cartoonserie "BoJack Horseman" (ZeitOnline), Mark Reeders Doku "B-Movie: Lust und Sound in Westberlin" (Standard), und Thomas Vinterbergs "Am grünen Rand der Welt" (SZ).

Außerdem: In seinem neuesten Videoessay zeichnet Tony Zhou die künstlerische Entwicklung von Chuck Jones nach, der einige der großartigsten Warner-Cartoons produziert hat:

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Architektur

Karin Leydecker begutachtet für die NZZ das sanierte und von Staab Architekten erweiterte Richard-Wagner-Museum in Bayreuth. Der Neubau gefällt ihr dabei deutlich besser als die renovierte Villa Wahnfried: "Muss die originale "Tristan"-Partitur in einem Tabernakel-Schrein präsentiert werden? Wozu immer wieder die schwüle "Heilig-Gral-Attitüde"?Richtig erfrischend wirkt dagegen der neue Erweiterungsbau mit etwa 2000 Quadratmetern Nutzfläche. Dieser schmale, langgestreckte Flachdachpavillon, hart an der Gartenkante gelegen, ist als luftige Stahl-Glas-Konstruktion errichtet und steht in wohltuendem Kontrast zur Erhabenheit der Villa Wahnfried."

Auch Udo Bermbach (NZZ) vermisst in der Wahnfried-Ausstellung eine kritische Würdigung Wagners. Der "Krämergeist" Bayreuths habe dies verhindert. Dabei hätte es viel aufzuarbeiten gegeben: "Die Wagner-Rezeption in all ihren auch politisch verhängnisvollen Varianten hätte ebenso Gegenstand dieser Ausstellung sein können wie das politisch einflussreiche antisemitisch-rassistische Denken Chamberlains und seine zentrale Rolle als massgeblicher intellektueller Kopf Bayreuths, der Wagner mit der nationalistisch-völkischen Bewegung verband. [...] Zudem hätte auch die personelle wie ideologische Nähe Wahnfrieds zu Hitler spätestens ab 1923 in eine solche Ausstellung einbezogen werden können. Und schließlich wäre hier der Platz gewesen, die Entwicklung der Festspiele im Kontext der neugegründeten Bundesrepublik zu dokumentieren."

Außerdem: Jürgen Tietz besucht für die NZZ das von Andreas Heller restaurierte und ergänzte Europäische Hansemuseum in Lübeck.
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Musik

Martin Hossbach (Berliner Zeitung) berichtet vom Melt-Festival (bei arte gibt es zahlreiche Konzertaufnahmen). Wolfgang Sandner (FAZ) schreibt den Nachruf auf den Pianisten John Taylor.

Besprochen werden Konzerte von Georgy Tchaidze (Tagesspiegel) und Gregory Porter (Tagesspiegel), sowie die nunmehr zweite Autobiografie des Sex-Pistols-Sängers John Lydon (SZ), ein Konzert von Iggy Pop beim Festival Two Days A Week in Wiesen (Standard) und Wilcos neues, von der Band freigiebig im Netz verschenktes Album "Star Wars" (SZ).

Und Spex präsentiert das erste Musikvideo aus Andreas Spechtls kommendem Album "Sleep":

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Bühne

2020 wird der junge Regisseur Abdullah Kenan Karaca die Passionsspiele in Oberammergau co-leiten. Auch deshalb gilt seine aktuelle Oberammergauer "Romeo und Julia"-Inszenierung unter den Kritikern als Eignungstest. Sabine Leucht (taz) bleibt allerdings vorerst noch sehr verhalten: Die Inszenierung hat sie kaum berührt. Karaca zeige "zwar, dass er auch Laien in Szene setzen kann, was er (...) künftig auch muss. Er greift aber allzu oft zu stimmungsmalerischer Musik, pflegt eine eindeutige Symbolsprache mit vielen sexuell konnotierten Gesten ... Doch genau diese wenig subtilen Stellen werden durch Szenenapplaus zur Sommertheatertauglichkeit geadelt und würden ja auf der Panoramabühne des Passionstheaters tatsächlich anders wirken."
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