Efeu - Die Kulturrundschau

Das Prinzip Kunst im Pop

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
29.01.2019. Die FAZ befasst sich sehr donnernd, aber sehr divergent mit den Vorwürfen, die Gerhard Richter und Christoph Hein gegen Florian von Donnersmarck erhoben haben. In der SZ erklärt der Zürcher Architekt Andreas Hofer, warum der Markt die Wohnungsnot überhaupt nicht lösen kann. In der NZZ erkennt Maurizio Ferrari die wahre Exotik Chinas. Der Guardian berichtet, dass der Direktor des British Museum die Aneignung des Parthenon-Frieses zu einem kreativen Akt kürte.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 29.01.2019 finden Sie hier

Film

Vorbild Christoph Hein? Sebastian Koch in Donnersmarcks "Das Leben der Anderen"

In der FAZ macht Andreas Platthaus erhebliche Zweifel geltend an Christophs Heins Abrechnung mit Florian Henckel von Donnersmarck, dem Hein vergangene Woche in der SZ vorgeworfen hatte, seine, Heins, Geschichte verfälscht zu haben (unser Resümee). Zahlreiche Unstimmigkeiten in Heins Darstellung machen Platthaus stutzig - am meisten aber der Umstand, dass der Schriftsteller sich in der Filmfigur Georg Dreymann selbst wiedererkannt haben will. Da wäre Hein so ziemlich der erste, der das so sieht, meint Platthaus. Außerdem ärgert er sich darüber, wie sehr Hein den Überwachungsapparat der DDR herunterspielt, wenn er die Darstellung der DDR in "Das Leben der Anderen" mit J.R.R. Tolkiens Fantasiereich Mittelerde vergleicht: "Was denken wohl andere ehemalige Bewohner dieses Landes über solche angebliche Phantastik, etwa die Schriftsteller Gert Neumann oder Wolfgang Hegewald, beide in den achtziger Jahren noch dort und kräftig schikaniert? Dass der Film den herausgeschmuggelten Suizid-Artikel auf 1985 datiert und nicht auf die Zeit der schon zerbröselnden DDR von 1989, wie Hein behauptet, sei hier nur erwähnt, um die Genauigkeit seiner Erinnerung zu charakterisieren. Die relativierende Pose, die der Schriftsteller in seiner Anekdote gegenüber der DDR einnimmt, ist frivol."

Donnersmarck in der FAZ zum Zweiten: Dass Gerhard Richter sich nunmehr nur noch mit sehr eindeutigen Worten über Donnersmarcks Film "Werk ohne Autor" zitieren lässt, der sich an die Biografie des Künstlers anlehnt, habe sich der Regisseur selbst zuzuschreiben, meint Andreas Kilb. Anders als es der Regisseur mit dem Künstler vereinbart haben will, habe er nämlich "keine Gelegenheit ausgelassen, öffentlich mitzuteilen, dass 'Werk ohne Autor' auf Richters Biografie basiert, und er hat jedem, der es wissen wollte, seine Besuche im Haus des Malers in allen Einzelheiten geschildert." Der Film werde "zur Gebrauchsanweisung für Richters Malerei, und Donnersmarck unterstützt diese Lesart noch dadurch, dass er seinen Film mit 'Citizen Kane' vergleicht. ... Ohne den ständigen Verweis auf Richters Malerei stünde Donnersmarcks großkotzige Kino-Rhetorik peinlich nackt da. Deshalb muss er immer wieder erklären, wie gut er sich mit Gerhard Richter verstanden habe, auch wenn sein Film beweist, dass er weder von dessen Kunst noch von der irgendeines anderen etwas versteht."

Weitere Artikel: Urs Bühler berichtet in der NZZ weiterhin von den Solothurner Filmtagen. Besprochen werden Peter Farellys "Green Book" (Tagesspiegel), Felix van Groeningens "Beautiful Boy" (SZ) und die Netflix-Doku "Fyre" über ein episch gescheitertes Hipster-Festival (SZ).
Archiv: Film

Architektur

Siedlung Heisenholz der Genossenschaft Kraftwerk1

Im SZ-Interview spricht der Schweizer Architekt Andreas Hofer, von dem Laura Weissmüller versichert, dass er in Zürich bereits die aufregendsten Geneossenschaften und Neubauqurtiere gebaut hat, über die von ihm geleitete IBA 2027 in Stuttgart, über den Wohnungsbau in der Krise, überforderte Städte und die Überzeugung, dass nur die Politik, die Probleme lösen kann, nicht die Ökonomie: "Zürich ist auch nicht das Paradies, wenn Sie eine günstige Wohnung suchen. Aber es gibt die Erkenntnis, dass, wenn man in einer erfolgreichen Stadt eine Durchmischung haben will, man einen größeren Anteil an Wohnungsbestand braucht, der nicht dem Markt ausgesetzt ist. Alle, die glauben, dass man das durch irgendwelche Anreize oder Liberalisierungen lösen kann, scheitern... Wenn man den Kapitalismus ernst nimmt, wird er Wohnungsnot produzieren, das ist seine Logik. Als Investor orientiere ich mich an der maximalen Kaufkraft und in einer erfolgreichen Stadt können die reichsten zehn Prozent dreimal mehr bezahlen als die Ärmsten."
Archiv: Architektur

Kunst

Im Guardian berichtet Mark Brown von dem Entrüstungssturm, den Hartwig Fischer als Chef des British Museum mit einem Interview ausgelöst hat. In der griechischen Zeitung Ta Nea nannte Fischer in wohl unnachahmlicher Arroganz den Abtransport des Parthenon-Frieses nach Britannien einen "Akt der Kreativität": "Das Gleiche gelte auch für das Akropolis Museum in Athen, sagte Fischer. 'Nichts von dem, was wir heute im Akropolis-Museum bewundern, wurde für das Museum geschaffen. Der dortige Fries ist nahe an seiner ursprünglichen Umgebung, aber auch er wurde abtransportiert und durch diesen Akt transformiert."

Weiteres: Jan Bykowski tut sich für die taz auf der Brüsseler Kunstmesse Brafa um, wo Macrons Vorstoß zur Restituierung afrikanischer Kunst gar nicht gut ankommt. Bernhard Schulz gratuliert im Tagesspiegel dem Pop-Art-Künstler Claes Oldenburg zum Neunzigsten.

Besprochen werden eine große Pierre-Bonnard-Schau in der Londoner Tate Modern (Guardian) und die beiden bereits vielfach gepriesenen Ausstellungen zur Novemberrevolution in der Berlinischen Galerie und im Museum für Fotografie (SZ) in Berlin.
Archiv: Kunst

Bühne

Als Intendant des Kölner Schauspiels macht Stefan Bachmann seine Sache ganz hervorragend, versichert Martin Krumbholz in der SZ. Aber was, fragt er in Richtung Stadtobere, qualifiziert bitte den Juristen Carl Philip von Maldeghem, der ab 2021 die Geschäfte übernehmen soll? "Bei aller gebotenen Zurückhaltung ist diese Wahl doch verwunderlich zu nennen: Von Maldeghem ist, was die oberen Etagen der Theaterszene betrifft, ein unbeschriebenes Blatt; als der 'innovative Regisseur', als der er in Köln angepriesen wird, hat er sich bisher nicht erwiesen."

Weiteres: In der taz quittiert jetzt auch Astrid Kaminski mit Kopfschütteln, dass das Bayerische Staatsballett kein Problem mit seinem mit Hakenkreuzen und einem Putin-Konterfei tätowierten Tänzer Sergei Polunin zu haben scheint.

Besprochen werden Thomas Melles Krankheitsparabel "Versetzung" in St. Gallen und Zürich (NZZ), Volker Löschs Anti-AfD-Stück "Das Blaue Wunder" in Dresden (NZZ), der Theaterabend "sklaven leben" am Schauspiel Frankfurt (FR), zwei Berliner Opernpremieren von Bellinis "La Sonnambula" und Puccinis "La Bohème" (taz, Tagesspiegel), Verdis "Forza del destino" an der Oper Frankfurt (FAZ),  Maria Milisavljevics Stück "Bebn" im Vestibül des Burgtheaters (Standard) und Christina Tscharyskis Qualtinger-Abend "Quasi Jedermann" in St. Pölten (Standard).

Archiv: Bühne

Literatur

Der italienische Philosoph Maurizio Ferraris schickt der NZZ einen Brief aus China, wo er lernt, das Leben gelassener zu nehmen. Wobei den Chinesen das leichter fällt, weil sie, wie er glaubt, gleichgültiger sind: "Hegel brachte es auf den Punkt: Die Europäer interessieren sich für die Chinesen, die Chinesen indes nicht für die Europäer."

Die Fotografin Herlinde Koelbl hat sich für das ZeitMagazin zu einem kurzen Gespräch mit Édouard Louis getroffen, in dem es vor allem um die Vergangenheit des französischen Literaturstars geht. Seinen bürgerlichen Namen Eddy Bellegueule hat er abgelegt, weil er ihn an schmachvolle Szenen seiner Kindheit erinnert. Doch "manchmal träume ich davon, wieder mit den anderen Dorfkindern nachts an der Bushaltestelle zu trinken. Ich durfte dabei sein, gehörte aber nicht dazu. Es hieß immer: Steh nicht so nah bei uns, du bist anders als wir, Schwuchtel. Als schwules Kind wurde ich bespuckt, gejagt und verprügelt. Aber dass ich immer abseits stand, hat mich gerettet. Ich erkannte besser als die anderen, was für ein mieses Leben wir eigentlich hatten und dass ich dem Dorf entkommen musste."

Weitere Artikel: Für die NZZ sichtet Aldo Keel neue isländische Literatur. Christian Gasser berichtet in der NZZ vom Comicfestival in Angoulême. Die FAZ bringt aus Hermann Burgers Nachlass ein in den 80ern verfasstes Prosastück über eine fiktive Begegnung zwischen Franz Kafka und Harry Houdini. Besprochen werden unter anderem Nora Bossongs Gedichtband "Kreuzzug mit Hund" (ZeitOnline), Neel Mukherjees "Das Leben in einem Atemzug" (taz), Jason Lutes' Vollendung seiner "Berlin"-Comictrilogie (Tagesspiegel), Viet Thanh Nguyens Kurzgeschichtenband "Die Geflüchteten" (SZ) und Matthias Weichelts Buch über Peter Huchel (FAZ).
Archiv: Literatur

Musik

Früher hätte man einen wie James Blake (unsere Kritik zu seinem neuen Album) noch kultisch als Genie verehrt, seufzt Ueli Bernays in der NZZ: Kaum ein Musiker hat der Popmusik der letzten Jahre derart entscheidende Impulse mit auf den Weg gegeben. Doch auf dem Podest der Verehrung landen solche Ausnahmetalente nur noch selten: Nicht mehr Erneuerung sei im Pop von Belang, sondern Verwertung. "Hat sich das Prinzip Kunst im Pop vielleicht überlebt? Wozu braucht es neue Klänge, wo das musikalische Angebot doch schon jetzt kaum zu überschauen ist? Gefangen in Traditionen und Subkulturen, bekommen die meisten Musiker ihre Köpfe kaum mehr frei für eigene Ausdrucksweisen. Vielleicht aber bringen ja technische Innovationen neue Sounds. Vielleicht sind Computer mittlerweile sowieso die kreativeren Sound-Prozessoren als die menschlichen Hirne? Unbeeindruckt von Idolen und Stilen, sorgen fortan möglicherweise Algorithmen für ein paar genialische Tracks."

Weitere Artikel: Für The Quietus führt Eden Tizard durch das musikalische Schaffen des Art Ensemble of Chicago. In der taz gratuliert Daniela Chmelik der Projektband Station 17 mit einem großen Porträt zum 30-jährigen Bestehen. Gunda Bartels porträtiert im Tagesspiegel die Sängerin Lydia Daher. In der Welt gratuliert Stefan Krulle Achim Reichel zum 75. Geburtstag.

Besprochen werden Holly Coles schlicht "Holly" betiteltes neues Album (taz), ein Auftritt der früheren Hardcore- und heutigen Art-Rock-Band Fucked Up (The Quietus), ein Konzert des Gewandhausorchesters Leipzig unter Andris Nelsons (SZ), das Gedenkkonzert des Chamber Orchestras of Europe mit Robin Ticciati zu Ehren von Claudio Abbado, der vor 5 Jahren gestorben ist (Tagesspiegel), ein Konzert der Berliner Philharmoniker unter Alan Gilbert mit der Solistin Lisa Batiashvili (Tagesspiegel), ein Auftritt des Tord Gustavsen Trios (Presse), Eckart Runges Abschiedskonzert vom Artemis Quartett (Tagesspiegel) und die Wiederveröffentlichung von Prefab Sprouts verschrobenem Collage-Album "I Trawl the Megahertz" von 2003 (SZ).
Archiv: Musik