Efeu - Die Kulturrundschau

VOLLKOMMEN SINNLOS

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13.07.2015. Antonio Fian entwirft im Standard eine Poetikvorlesung über Werner Kofler. Die SZ versinkt in einem kongolesischen Knall aus Farben, Kurven und Licht. Die Welt kommt auf den Hund. Die taz verlangt Neubauten-Sounds im ganzen Englischen Garten. Und Hermann Parzinger möchte keine Badehosen auf der Museumsinsel sehen.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 13.07.2015 finden Sie hier

Kunst


Monsengo Shula, "Ata Ndele Mokili Ekobaluka (Tôt ou tard le monde changera)," 2014. Monsengo Shula / Photo: Florian

Für einen zünftigen Farbenrausch braucht Tim Neshitov keine illegalen Substanzen, er besucht stattdessen für die SZ die Ausstellung "Beauté Congo - 1926-2015 - Congo Kitoko" in der Fondation Cartier in Paris, die "das Leben in einem Knall aus Farben, Kurven und Licht [feiert], dass man sich vorkommt, als hätte man einen Regenbogen über der Seine verschluckt." Ein nicht unbeträchtliches Unbehagen bleibt dennoch, als er einen Blick auf die Herkunft der Exponate wirft: "Alle 350 Werke, die Crème de la Crème der kongolesischen Gegenwartskunst, werden in Europa aufbewahrt. Das kongolesische Publikum hat die meisten davon nie gesehen."


Albrecht Dürer, Hieronymus im Gehäus (Ausschnitt)

Eckhard Fuhr besucht für die Welt die Ausstellung "Wir kommen auf den Hund" im Kupferstichkabinett in Berlin: "Wer sich locken lässt, kommt zwischen Dürer und Polke, Rembrandt und Menzel aus dem Staunen nicht heraus, nicht nur, weil all das aus dem eigenen Fundus der Grafiksammlung geschöpft ist. Staunend steht man zum Beispiel vor den drei Meisterstichen Albrecht Dürers. Die Meisterschaft der Licht- und Schattenführung beim "Hieronymus", wo das helle Heilige durch die Butzenscheiben der Holzstube dringt, macht einfach nur sprachlos. Da kann man das Hündchen, das vorne friedlich neben dem Löwen schläft, leicht übersehen, obwohl es doch auch etwas abbekommt von dem Licht, wenn auch nicht so viel wie die Glatze des Heiligen, der hinten an seinem Schreibpult sitzt."

Weitere Artikel: Nicht nur das Baumarktimperium Karlheinz Essls bröckelt, auch die Kunstsammlung, berichtet im Standard Olga Kronsteiner, die in der aktuellen Essl-Ausstellung "Deutsche Kunst nach 1960" Polke und Kippenberger vermisst. In der Manchester Whitworth ließ Arvo Pärt Bilder von Gerhard Richter choral besingen - ein Genuss, meint Alexander Menden in der SZ: "Das Aufeinandertreffen der Distanz schaffenden Ästhetik von Richters Abstraktionen und der unverhohlenen Spiritualität von Pärts Chorälchen (...) bereichert beide Kunstformen." In der FAZ berichtet Gina Thomas vom Manchester International Festival (mehr). Die Berliner Daimler Art Collection wird um einige chinesische Kunstwerke erweitert, berichtet Christiane Meixner im Tagesspiegel.

Besprochen werden die Cranach-Ausstellungen rund um Wittenberg (FR, Tagesspiegel), eine Johannes-Gachnang-Ausstellung in der Berliner Kienzle Art Foundation (Tagesspiegel), die Frank-Auerbach-Ausstellung im Kunstmuseum Bonn (Zeit) und die Ausstellung "Buch - Kunst - Objekt" im Kunstmuseum Stuttgart (FAZ).
Archiv: Kunst

Literatur

Der Autor Antonio Fian wandert für den Standard durch Pécs und versucht im Geiste eine Poetikvorlesung über Werner Kofler zu entwerfen, um "die Studentinnen und Studenten der Universität Klagenfurt für diesen Autor, für Literatur überhaupt einzunehmen, weshalb ich sie ständig würde belügen müssen, indem ich ihnen sagte, es sei richtig und wichtig, sich mit der Literatur Werner Koflers, überhaupt mit Literatur auseinanderzusetzen, während ich doch wusste, einerseits durch meine eigene berufliche Tätigkeit, andererseits durch die Befassung gerade mit der Literatur Werner Koflers, dass sowohl das Verfassen von als auch die Befassung mit Literatur, und zwar auch von und mit großer und größter Literatur vollkommen sinnlos ist, VOLLKOMMEN SINNLOS, so, dachte ich, würde ich beginnen und würde als Beleg eine Stelle aus Werner Koflers Am Schreibtisch zitieren: "Kunst muss die Wirklichkeit zerstören, so ist es, die Wirklichkeit zerstören statt sich ihr unterwerfen...""

In der taz berichtet Stefan Hochgesand von einem von Daniel Kehlmann und Adam Soboczynski bestrittenen Klemperer-Abend in Berlin. Wieland Freund liest für die Welt die erste Fassung von Harper Lees "Wer die Nachtigall stört". Helmut Böttiger gratuliert auf Zeit online Verleger Klaus Wagenbach zum 85. Geburtstag. Beim WDR kann man jetzt das auf einem Drehbuch von W.G. Sebald basierende Kant-Hörspiel "Jetzund kömpt die Nacht herbey" herunterladen, das Jochen Hiebert am vergangenen Freitag in der FAZ bejubelte.

Besprochen werden Don Winslows "Das Kartell" (Tagesspiegel) und Arthur Conan Doyles Polar-Tagebuch (SZ).

In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie der FAZ stellt Hans-Ulrich Treichel sein Gedicht "Im Koeppen-Archiv" vor:

"Das Ikearegal,
ein fleckiges Stofftier,
die Rheumadecke ..."
Archiv: Literatur

Film

Im Tagesspiegel gratuliert Jan Schulz-Ojala dem Filmfestival in Karlsbad zum 50-jährigen Bestehen. Esther Buss (Jungle World) resümiert eine beim Filmfest München gezeigte Reihe über die Rezeption Andy Warhols. Für die Berliner Zeitung plaudert mit dem Schauspieler Benno Fürmann, der aktuell als Neonazi in der Satire "Heil" zu sehen ist, mit deren Regisseur Dietrich Brüggemann sich wiederum Martin Machowecz und Stefan Schirmer (Zeit) unterhalten. Mit dem Hauptdarsteller Jerry Hoffmann, der im Film einen afro-deutschen Autor spielt, der nach einem Schlag auf den Kopf zu den Nazis wechselt, hat sich Patrick Wildermann vom Tagesspiegel getroffen. Nachrufe auf Omar Sharif schreiben Peter Körte (FAS), Daniel Kothenschulte (FR), Dietmar Kammerer (taz), Christian Schröder (Tagesspiegel) und Verena Lueken (FAZ).

Besprochen wird Gia Coppolas auf DVD veröffentlichte, gleichnamige Verfilmung von James Francos Kurzgeschichtensammlung "Palo Alto" (Kino-Zeit, SZ).
Archiv: Film

Architektur

Bloß kein Stadtbad in Berlins Kupfergraben, ruft Hermann Parzinger von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Tagesspiegel entsetzt auf und reagiert damit auf Laura Weißmüllers Plädoyer in der SZ (hier unser Resümee). Weder sieht er Berlins Museumsmitte allein Touristen und Wohlhabenden vorbehalten, noch hält er - nicht zuletzt aus Gründen des Denkmalschutzes - eine Strandbar-Atmosphäre in der Gegend für förderlich: "Unmengen von Müll, Polizei, Anwohnerklagen, Dauerparty, gute Nacht Museumsinsel! ... Wenn eine Belebung der Mitte Berlins angeblich nur dann erreicht werden kann, wenn wir an den Museen vorbeikraulen können, dann hätten wir alle etwas falsch gemacht. Der Auftrag der Museen ist es, dafür zu sorgen, dass die Menschen in der Kunst baden wollen."

Das Berliner Bauhaus-Archiv zeigt Architekturaufnahmen von Hélène Binet, notiert Bernhard Schulz im Tagesspiegel.
Archiv: Architektur

Bühne


"Jürgen Rose: Nichts ist so lebensfüllend wie das Theater", Deutsches Theatermuseum

Leicht benommen kommt Sabine Leucht für die nachtkritik aus einer Doppelausstellung über den Bühnen- und Kostümbildner Jürgen Rose im Deutschen Theatermuseum, wo sie ein gutes Jahrhundert Kunstgeschichte durchmessen hat. "Doch fast widerwillig offenbart die Ausstellung auch - was den Perfektionisten in Rose schmerzen, dem Theaterbesessenen aber leise Genugtuung verschaffen muss - dass die Lebendigkeit der Bühne nicht simulierbar ist. Dafür kann man sich erstmals davon überzeugen, welche Vielfalt von Texturen Roses Kostüm-Universum kennt, und dass, was in späteren Dorn-Inszenierungen manchmal gewollt repräsentativ wirkte, in Wahrheit einem weltoffenen, gänzlich unhierarchischen Eklektizismus entspringt, in dem Mieder aus dem 19. Jahrhundert, Ringe, Hüte, Fächer und Schuhe vom Flohmarkt, indische Originalgewänder, schweres Sattler-Zeug und ausgesuchte Seidenstoffe sich problemlos miteinander vertragen. Und - da ist man wieder pingelig deutsch - wirklich keine Naht geklebt, keine Knopfreihe durch einen unsichtbaren Reißverschluss gesichert ist."
Archiv: Bühne

Musik

Asif Kapadias Dokumentarfilm "Amy" verspricht, Amy Winehouse so zu zeigen, wie sie wirklich war, erklärt Jens Balzer in der Berliner Zeitung, der dem Vorhaben allerdings mit größer Skepsis beiwohnt. Dieser Film sei auf jeder Ebene intransparent: Rasch beschleicht ihn daher "das Gefühl, bei aller vorgespiegelten Dokumentarfilm-Analytik einem seinerseits manipulativen Werk beizuwohnen." Auch nimmt er es dem Film übel, sich gegen Ende am Niedergang der Sängerin kurz vor ihrem Tod geradezu zu laben: "Das ist in der überlebensgroßen Überhöhung eines kurzen Moments tragischer menschlicher Kleinheit dann aber nichts anderes als jene Elendspornografie, die Kapadia zu kritisieren vorgibt." Nadine Lange zeigt sich im Tagesspiegel unterdessen recht ergriffen.

DAF auf der Bühne, die frühe Punkszene im Kino, die Genialen Dilletanten auf Goethe-Instituts-Ausstellungstour: So langsam ist es auch mal gut mit der nostalgischen Zweitverwertung des BRD-Punk-Undergrounds der frühen 80er, meint Jens Uthoff in der taz. Zumal die in München gastierende Dilletanten-Ausstellung auch reichlich kontextlos im Raum stehe: "Was die Subkulturen der frühen Achtziger da betrieben, (...) [war] nicht denkbar ohne NS-Zeit, Adenauerzeit, 68 und RAF - und dazu da, die BRD zu erschüttern. Überhaupt, Mut: Vielleicht hätte man den ganzen Englischen Garten mal mit Neubauten-Sounds beschallen sollen. Auch musikhistorisch fehlt der Bezug zur Geschichte und zur Gegenwart: Die Ausstellung bildet nur diese wenigen Jahre ab, ohne die Entstehungsbedingungen, ohne das Davor und Danach zu berücksichtigen."

Weitere Artikel: Markus Ganz hörte für die NZZ Konzerte der Alabama Shakes, von Jamie xx und Portishead beim Montreux Jazz Festival. Online nachgereicht wird Christoph Dallachs Zeit-Interview mit Pete Townshend, der auch schon lange nicht mehr daran denkt, jung zu sterben. Tim Gorbauch hatte beim 10. und letzten Jahrgang des Rüsselsheimer Festivals Phono Pop so viel Freude, dass es ihn in der FR grämt, wie zurückhaltend die öffentliche Hand die Veranstaltung unterstützt hat. Auf Skug porträtiert Steffen Greiner den Musiker Panda Bear. Cvltnation, das Fachmagzin für musikalische Drastik, bringt tolle Livefotos der Fotografin Andrea Petrovicova.

Besprochen werden ein Konzert von Kendrick Lamar beim Open Air Frauenfeld (NZZ), das allerletzte Konzert des Buena Vista Social Club in Hamburg (Welt), das Debüt des österreichischen Projekts Die Buben im Pelz (Skug), das neue Album von K.I.Z. (Berliner Zeitung) und das Mini-Album "The Beyond/Where the Giants Roam", mit dem Thundercat das "wahrscheinlich schönste Album des Sommers" vorgelegt, wie Fatma Aydemir in der taz schwärmt. Hier eine Hörprobe:

Archiv: Musik