Efeu - Die Kulturrundschau

Von Wolken bis zur Eisenbahn

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.12.2015. Die SZ porträtiert die für den Turner-Preis nominierte Gruppe Assemble, die neben artists, architects auch activists sind. Die NZZ bewundert chinesische Schriftzeichen. Die Berliner Zeitung steht vor einem hochmodernen Menzel. In der SZ erklärt Amir Hassan Cheheltan, warum die Zensur des Erotischen im Iran lächerlich ist. Die NZZ feiert eine neue "Aida".
9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.12.2015 finden Sie hier

Kunst


Mi Fu (1051-1107), Gedicht und Antwortgedicht Nördliche Song-Dynastie (960-1127), ca. Anfang 12. Jh., Museum für Ostasiatische Kunst, Köln, © Foto: Sabrina Walz

Wie sehr Malerei und Schrift in China miteinander verbunden sind, lernt Philipp Meier in der Ausstellung "Magie der Zeichen - 3000 Jahre chinesische Schriftkunst" im Zürcher Museum Rietberg: "So werden Felsen, Bäume, ja Figuren aus einem Repertoire von ganz bestimmten Pinselstrichen aufgebaut, während Schriftzeichen aus festgelegten Strichen, die sich in Ausrichtung, Form, Ansatz und Abschluss unterscheiden, zusammengesetzt sind. Aus dieser Technik resultiert eine Einheit von Kalligrafie und Malerei, die in der Dichtkunst kulminiert. Und weil Landschaften 'geschriebene' Bilder und Gedichte 'gemalte' Worte sind, ist es nicht verwunderlich, dass beide in der ostasiatischen Bildrolle zusammenfinden."


Adolph Menzel: Am Kreuzberg bei Berlin, 1847, Öl auf Leinwand © Stadtmuseum Berlin | Foto: Oliver Ziebe

Das Märkische Museum in Berlin würdigt Adolph Menzel, der vor 200 Jahren geboren wurde. Ingeborg Ruthe staunt in der Berliner Zeitung, wie weit der Maler seiner Zeit voraus war: "Welchem Berliner Künstler dieses Zeitalters könnte man wohl eine derartige Ferne von allem Idealistischen attestieren, dafür dieses manische Streben nach Wirklichkeitstreue samt erzählender Detailfülle, von Wolken bis zur Eisenbahn, von reißender Winterkälte bis zu sich abzeichnenden Rissen in Preußens Glanz und Gloria." Und Christian Schröder bekräftigt im Tagesspiegel: Menzels "Akribie war legendär."

Weitere Artikel: Kerstin Stremmel besucht für die NZZ den Erweiterungsbau der Bochumer "Situation Kunst". Ingo Arend blättert für die taz in der neuen Documenta-Zeitschrift, die man hier online lesen kann. Für die FAZ hat Helmut Mayer das wiedereröffnete Musée de l'Homme in Paris besucht. In der FAZ gratuliert Andreas Platthaus dem Maler Nikolaus Heidelbach zum Sechzigsten.

Besprochen werden die Max-Beckmann-Ausstellung in der Berlinischen Galerie (Welt), die Ausstellung "A Labour of Love" im Weltkulturen Museum Frankfurt mit südafrikanischer Kunst aus den Achtzigern (FR), eine Retrospektive von Gerhard Rühm im Grazer Bruseum (Standard) und die Ausstellung "A Few Free Years" mit Werken aus der Flick-Sammlung im Hamburger Bahnhof in Berlin (Tagesspiegel).
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Literatur

Für die SZ spricht Susan Vahabzadeh mit dem iranischen Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan über die Zensur in dessen Heimat: Früher "gab es politische Zensur - aber sie hat sich nicht um Erotik gekümmert. Jetzt ist es so: In einem Roman darf ein Mann nicht einmal die Hand einer Frau berühren. Und ein Wort wie 'Wein' ist tabu - lächerlich. Die klassische persische Literatur ist so voll von Wein, dass man vom Umblättern feuchte Finger bekommt. ... Zensur ist sehr auf bestimmte Wörter fixiert - 'Homosexualität' beispielsweise. Wenn das Wort gar nicht vorkommt, man es aber aus dem Kontext entnehmen kann, dauert es manchmal eine Weile" bis das Buch vom Markt genommen wird.

Weiteres: Für den Tagesspiegel unterzieht Thomas Greven neue Bücher aus den Comic Studies sowie diverse neue Comicveröffentlichungen einer politikwissenschaftlichen Analyse. In der Zeit-Reihe über die wichtigsten Romane des 21. Jahrhunderts widmet sich Wolfgang Ullrich Michel Houellebecqs "Karte und Gebiet" (hier zum Vergleich unsere Rezensionsnotizen).

Besprochen werden Jürgen-Thomas Ernsts Roman "Vor hundert Jahren und einem Sommer" (Standard), Ulrike Ulrichs Erzählungen "Draußen um diese Zeit" (NZZ), Steven Camdens "Press Play - Was ich dir noch sagen wollte" (Tagesspiegel) und Karl-Markus Gauß' Essayband "Der Alltag der Welt" (SZ).
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Architektur


Assemble: Theatre on the Fly. Ein temporäres Schauspielhaus für das Chichester Festival Theatre. Foto: Assemble

Für die SZ porträtiert Catrin Lorch die für den Turner-Preis nominierte Gruppe Assemble, die in der interdisziplinären Schnittmenge von Kunst, Architektur und Sozialarbeit operiert und dabei mit ihren Aktionen ganze sozial brach liegende Viertel wieder lebenswert macht. Zu beobachten ist hier, "wie eine junge Generation sich ausbreitet, die gar nicht vorhat, alte Grenzziehungen zwischen den Disziplinen neu abzustecken. Während man in England 'Artist or Architect' fragt, sollte man die Alliteration noch um das Tätigkeitsfeld des Aktivismus erweitern. Denn was die Pop-up-Entwürfe von Assemble vor allem verbindet, ist ihre kommunikative, fast propagandistische Qualität. Und der Wille zur Autonomie. Dass die Ersten, mit denen man verhandelt, nicht die Geldgeber sind, die Stadtplaner, Politiker, Altersforscher, Lehrer, sondern Kinder, Senioren, Anwohner."
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Film

In der Welt stellt Eva Munz die französische Serie "Engrenages" vor (gibts auf Netflix), eine der besten Polizeiserien überhaupt: "Nie beschränken sich die Autoren auf Schablonen wie karrieregeiler Staatsanwalt, kurdischer Waffenschieber, drogensüchtiger Ermittler, verlogene Nutte, pedantischer Richter, linksradikaler Menschenrechtler. Immer gibt es mindestens ein moralisches Dilemma, Träume und Motive von einer besseren Welt, die diese Figuren versagen lassen und das im großen Stil. Es sind Franzosen, Marokkaner, Kurden, Russen, alles Pariser und alle machen sich irgendwann Hände schmutzig. Es ist der totale Don Quixote, das Paris des 13. Novembers."

Weitere Artikel: Die FAS hat Marc Hairapetians schön entspanntes Gespräch mit Ennio Morricone online nachgereicht. Dunja Bialas von Artechock hat die Münchner Filmkritik-Legende Ponkie besucht. Für Artechock wirft Ingrid Weidner einen Blick ins Programm der Lateinamerikanischen Filmtage in München.

Besprochen werden Peter Stricklands Erotik-Drama "The Duke of Burgundy" (FR, Filmgazette, Artechock, unsere Kritik hier), Kaan Müjdecis "Sivas" (critic.de, Artechock, Tagesspiegel), Sekou Nebletts HipHop-Film "Blacktape" (Filmgazette), Ron Howards Moby-Dick-Film "Im Herzen der See" (FR), Jaco Van Dormaels Komödie "Das brandneue Testament" (Filmgazette, critic.de, Artechock, SZ), Theresa von Eltz' "Vier Söhne" (artechock, Welt, FAZ), John Wells' Koch-Doku "Im Rausch der Sterne" (Filmgazette) und Kay Pollaks "Wie auf Erden" (Artechock).
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Bühne

Besprochen werden Andreas Homokis Inszenierung von Frederick Loewes "My Fair Lady" an der Komischen Oper in Berlin (NZZ), Tommaso Traettas hochspannende Oper "Antigone" unter Leitung von Attilio Cremonesi (Presse), eine Aufführung von Ferdinand Bruckners "Die Kinder des Musa Dagh" in Karlsruhe (SZ).
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Stichwörter: Antigone, Homoki, Andreas, Loewe

Musik

In der NZZ feiert Christian Wildhagen eine Neueinspielung von Verdis "Aida" mit Anja Harteros und Jonas Kaufmann als "eigens mit allen Mitteln des Mediums für die CD kreiertes 'Hör-Kunstwerk'", das unter Leitung des Dirigenten Sir Antonio Pappano "einen dynamisch ungewöhnlich weit aufgespannten Rahmen für die Wiedergabe" setzt: "Ein Zentralproblem der 'Aida' löst sich damit wie von selbst, nämlich der Gegensatz zwischen öffentlichen und privaten Szenen ... Dieser Gegensatz, eine Herausforderung für jede Bühnenproduktion, wie jüngst in Berlin zu erleben, wird hier überzeugend eingefangen, indem sich die 'Hör-Bühne' bei Bedarf ins geradezu Breitwandig-Cineastische öffnet, um sich hernach wieder wie eine akustische Lupe auf die Protagonisten zu verengen."

Weiteres: In der NZZ schreibt Thomas Baltensweiler zum 100. Geburtstag der Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf. Hier ist sie mit Schubert. Und dem legendären Gerald Moore am Klavier:



Besprochen werden Konzerte zu Helmut Lachenmanns 80. Geburtstag in Frankfurt (NZZ), neue Aufnahmen von und mit Countertenören (NZZ), Bruckners "Romantische" im Wiener Musikverein (Presse), das neue Album "Kannon" von Sunn O))) (Pitchfork), Robert Forsters "Songs to Play" (taz), der Kraftwerk-Auftritt in Frankfurt (FR), ein neuer Bildband über The Who (ZeitOnline), das neue Mixtape "But you Caint Use My Phone" von Erykah Badu (taz) und das neue Album von Coldplay (Welt, SZ).

Archiv: Musik