Efeu - Die Kulturrundschau

Wie ein Korsett auf die Eingeweide drückt

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
07.07.2022. Gestern tagte der Ausschuss für Kultur und Medien über die documenta, Schormann und Geselle fehlten, dafür brachen Ruangrupa ihr Schweigen: "Es gibt keinen stillen Boykott gegen Israel." "Unser Thema ist Klasse, nicht Rasse", sagen indes Taring Padi im Zeit-Gespräch. Gehört Israel überhaupt zum "globalen Norden", fragt der Politikwissenschaftler Johannes Becke in der FAZ. Die Filmkritiker entdecken dank Marie Kreutzer unter dem Monarchenkitsch von "Sisi" eine kompromisslos-autonome Frau. Noch ein Kollektiv: Auf Yvonne Büdenhölzer als Leiterin des Berliner Theatertreffens folgen vier Frauen, melden die Zeitungen.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 07.07.2022 finden Sie hier

Film

Ein Bild von einer Kaiserin: Vicky Krieps als "Sisi" in "Corsage"

Kaiserin Elisabeth, genannt Sisi, ist im europäischen Kino keine Unbekannte. Doch die Filmemacherin Marie Kreutzer beschreitet mit "Corsage" deutlich andere Wege als der einschlägige  Schmonzettenschinken der 50er, schreiben die Kritiker. Von einer "teils schwelgerischen, teils sperrigen Collage" spricht FR-Kritiker Daniel Kothenschulte, dem allerlei bewusst gesetzte anachronistische Widerhaken in diesem Film aufgefallen sind. Die Handlung setzt ein, als die Kaiserin mit 41 Jahren dem pausbäckigen Sisi-Klischee längst entsprungen ist und sich immer wieder ins konkrete Korsett zwingt, während sie dem gesellschaftlichen Korsett zu entfliehen versucht: "Im Korsett findet Kreutzer den Fluch des Märchens in der Realität wieder, und doch transportiert es auch das Bild einer kompromisslos-autonomen Frau, mit einem modernen Sinn für Selbstoptimierung. ... Diese Elisabeth entweicht protokollarischen Pflichten so gut es geht, macht sich auf Reisen, experimentiert mit Drogen und begegnet früheren Liebhabern. Nur eine Nebenfigur ist ihr untreuer Ehemann Franz-Josef (Florian Teichtmeister). Selbstbestimmtheit generiert auch Selbstsucht wenn sie einer Hofdame die Zustimmung zur Heirat verweigert."

Die Regisseurin wagt "eine radikale Neuerzählung", hält tazlerin Arabella Wintermayr fest. Kreutzer sucht die nüchterne Form statt überbordenden Monarchenkitsch. "Das Besondere an Marie Kreutzers Filmen ist, dass sie sich in ihren Beobachtungen niemals mit Plattitüden, sich in ihrer feministischen Grundhaltung nie mit einfachen Phrasen zufriedengibt." Dennoch biete es sich durchaus an, den Film "als eine Kritik an bis heute fortexistierenden Rollenvorstellungen zu lesen". Eher zurückhaltend bespricht Patrick Holzapfel im Perlentaucher den nicht "sehr bemerkenswerten Film", der in seinen Augen symptomatisch für das Gegenwarts-Arthousekino ist. Vicky Krieps in der Hauptrolle findet er aber faszinierend: "Trotz dieser Überfrachtung trägt Krieps den Film, ganz einfach, weil sie nicht einmal das Gesicht verziehen muss, um zu zeigen, wie ein Korsett auf die Eingeweide drückt. Man sieht es an ihrem Gang, man hört es in ihren Worten."

Wehe, dem das siebente Siegel schlägt: "Rifkins Festival" von Woody Allen

FR
-Kritiker Daniel Kothenschulte fällt aus allen Wolken: Woody Allens noch vor der Pandemie entstandener, aber erst jetzt in den Kinos gezeigter Film "Rifkins Festival" ist in der langen Filmografie des New Yorkers sehr weit unten anzusiedeln. Wallace Shawn spielt darin unter der Sonne Spaniens einen pensionierten Filmkritiker, der die Gegenwart des Kinos zwar verteufelt, aber in seinen Träumen in dessen Geschichte schwelgt. "Rifkin durchlebt seine wehleidige Weltsicht; tatsächlich sind es besonders diese stillosen Parodien, die den Film selbst zu einem cinephilen Alptraum machen. Gern würde man in dieser Revision des filmhistorischen Kanons einen selbstkritischen Verweis auf den konservativen Geschmack alternder Filmfans sehen. Aber Allen setzt sich schon lange nicht mehr mit dem eigenen Selbstbild auseinander."

Allen spiegelt mal wieder sich selbst, schreibt Jenni Zylka in der taz: "Ein alternder Mann, dessen Lebenskraft einerseits durch die Aufmerksamkeit einer jüngeren, attraktiven Frau, andererseits durch die Auseinandersetzung mit seinem künstlerischen Selbst angefacht wird, hadert mit sich selbst." Doch "fragt man sich, ob den Regisseur nicht auch mal andere Dilemmas, andere Probleme beschäftigen könnten als das Altern und der dadurch entstehende egomanische Selbstzweifel." Von einer "Schwundstufe" spricht Andreas Busche im Tagesspiegel, einen "müden Abklatsch" früherer Filme sah auch SZ-Kritiker David Steinitz, auch wenn es "ein paar lustige Szenen gibt." Und "die Lässigkeit, mit der Allen ein weiteres Mal von Liebelei, Betrug und den Leiden alternder Männer erzählt, hat etwas zunehmend Weltloses und Verzweifeltes", muss FAZ-Kritiker Andreas Kilb ernüchtert feststellen.

Außerdem: In der Welt erklärt Peter Praschl, was es damit auf sich hat, dass insbesondere in Großbritannien junge Männer im Anzug die Kinovorstellungen des neuen Minion-Animationsfilms stürmen und dabei im Saal eine große Gaudi veranstalten, um das Ergebnis auf TikTok zu präsentieren. Besprochen werden die auf Netflix gezeigte Wirecard-Satireserie "King of Stonks" mit Matthias Brandt (FAZ, Welt, ZeitOnline), Marcus H. Rosenmüllers Animationsfilm "Willkommen in Siegheilkirchen" nach den Karikaturen von Manfred Deix (Freitag), die DVD-Ausgabe von Catherine Corsinis 2021 im Cannes-Wettbewerb gezeigter Tragikomödie "In den besten Händen" (taz), Taika Waitis Marvel-Blockbuster "Thor - Love and Thunder" mit Natalie Portman (FAZ, SZ, ZeitOnline), Ferdinand von Schirachs Serie "Strafe" (NZZ), Anika Deckers feministische Liebeskomödie "Liebesdings" mit Elyas M'Barek (SZ) und die Ausstellung "Im Tiefenrausch" des Frankfurter Filmmuseums (FAZ). Außerdem erklärt uns die SZ, welche Filme sich in dieser Woche wirklich lohnen und welche nicht.
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Kunst

Gestern tagte nun der Ausschuss für Kultur und Medien des Bundestags, Sabine Schormann fehlte krankheitsbedingt, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle ließ sich aus Termingründen entschuldigen. Dafür brachen Ruangrupa längst überfällig ihr Schweigen, wie Jörg Häntzschel in der SZ berichtet. Ade Darmawan entschuldigte sich, gab zu, dass sich kein Mitglied des Kollektivs das Banner genau angesehen hatte "und meinte, es handele sich bei den Karikaturen um eine Art Reimport einer Bildsprache, die zuvor von Europa nach Indonesien exportiert worden sei und dort umgemünzt wurde auf die chinesische Minderheit. Entschieden verwahrte er sich gegen die seit der Documenta-Eröffnung erhobenen Vorwürfe, Antisemitismus gehöre in Indonesien zum kulturellen Mainstream. Und er berichtete von den Angriffen und Drohungen, auch physischer Art, die die Ruangrupa-Mitglieder und Documenta-Mitarbeiter erlitten hätten." Im Tagesspiegel ergänzt Birgit Rieger: "'Es gibt keinen stillen Boykott gegen Israel oder gegen Juden', sagte Darwaman. Jüdische und israelische Künstler seien bei der Documenta vertreten, würden auf eigenen Wunsch namentlich nicht genannt, da sie mit dem Konzept des Nationalstaats nicht in Verbindung gebracht werden möchten. In dieser Form kann seine Versicherung kaum zur Vertrauensbildung beitragen."

"Unser Thema ist Klasse, nicht Rasse", sagen indes Taring Padi im Zeit-Gespräch mit Tobias Timm, in dem sie noch einmal beteuern, den Antisemitismus in ihrem Banner nicht erkannt zu haben: "Weil Antisemitismus vor zwanzig Jahren unter uns in Indonesien kein großes Thema war. Wir wussten kaum etwas darüber. Wir hatten in der Schule etwas über den Holocaust und die Nazi-Herrschaft gelernt, aber nichts zum Antisemitismus an sich. Das ist Teil unseres Lernprozesses jetzt, wenn wir über das Thema sprechen und reflektieren. Wir hätten nicht so nachlässig sein dürfen."

"Wie sinnvoll ist die Unterteilung der Welt in einen 'globalen Norden' und einen 'globalen Süden' - und gehört der Staat Israel in solch einer binären Weltsicht tatsächlich auf die Seite des Nordens, sozusagen als jüdisch-zionistische Spielart des europäischen Siedlerkolonialismus?" fragt in der FAZ der Israel- und Nahoststudien lehrende Politikwissenschaftler Johannes Becke: "In den Jüdischen Studien häufen sich dabei in den vergangenen Jahren einflussreiche Gegenstimmen gegen eine derartige Verkürzung der zionistischen und israelischen Geschichte. Derek Penslar, Historiker an der Harvard-Universität, betont beispielsweise die innere Widersprüchlichkeit des zionistischen Projekts: Als Siedlungsprojekt besitzt der Zionismus eine koloniale Dimension; als Befreiungsbewegung gegen den europäischen Rassenantisemitismus und den britischen Kolonialismus kann der Zionismus als antikolonialer Nationalismus verstanden werden; als neugegründeter Staat im Zeitalter der Dekolonisierung kann Israel auch als postkoloniale Gesellschaft analysiert werden."

Ein Teil der westlichen Kunst spricht nur noch die Elite an, sagt die afrofranzösische Künstlerin Beya Gille Gacha, die Jonathan Fischer in der SZ bei seinem Besuch der Dakar-Biennale getroffen hat. Ihre mit blauen Perlen bestickten Figuren sollen ein größeres Publikum ansprechen - und zugleich "spirituell" sein, erfährt Fischer: "'L'autre Royaume', 'das andere Königreich' ist Gille Gachas Installation auf der diesjährigen Dak'art betitelt. Ein träumendes Kind mit halb geschlossenen Augen steht da in einer Art traditionell-afrikanischem Lehmrundbau, ein maximaler Kontrast zu den umgebenden Betonsäulen des alten Justizpalastes von Dakar. Pflanzen und eine gewebte Decke rahmen die weithin leuchtende Figur. Ein blauer Glanz, der sich einer Haut aus Tausenden winzigen Perlen verdankt. Eine Prinzessin, Heiligenfigur oder gar Außerirdische? (…) Wer es ganz genau wissen will, dem erklärt die zierliche Künstlerin, dass die Perlenhaut einer Handwerkstradition der Bamileke, der kamerunischen Ethnie ihrer Mutter, entstammen. (…) Als Kind gemischten Ursprungs und Angehörige zweier Kulturen schmiede sie daraus einen Selbstfindungsprozess. Was verbindet den Westen mit Afrika?"

Außerdem: In der NZZ berichtet Philipp Meier vom Fall des Franzosen Daniel Druet, der zwischen 1999 und 2006 Wachsfiguren für den Künstler Maurizio Cattelan schuf und nun auf fünf Millionen Euro Schadenersatz und Mitautorschaft klagt: "Das hat die französische Kulturszene in Alarmbereitschaft versetzt. Museumsdirektoren, Künstler, Kunsthistoriker und Galeristen haben einen Protestbrief unterschrieben. Denn Druet stellt die künstlerische Autorschaft infrage. Wird ihm am 8. Juli, wenn ein Pariser Tribunal das Urteil verkündet, recht gegeben, sehen viele die Idee der modernen Kunst in Gefahr. Gemäß dieser zählt allein das Konzept des Künstlers, nicht die Handarbeit des Gehilfen." Im Zeit-Interview mit Evelyn Finger spricht der Leipziger Künstler Michael Triegel über seine Neuerschaffung des verlorenen Marienaltars des Naumburger Domes.

Besprochen werden die Multimediaperformance "Sehnsucht" des Künstlerduos Desilence, Planets of the Sun im Berliner Lighthouse (taz), die Ausstellung "Im Angesicht. Elfriede Lohse-Wächtler und Felix Nussbaum" im Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück (taz) und die Ausstellung "Double Bind/Threshold Barriers" des niederländischen Künstlers Aernout Miks in der Frankfurter Schirn (FR).
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Literatur

Besprochen werden unter anderem Heinz Strunks "Ein Sommer in Niendorf" (NZZ), Marian Offmans "Mandelbaum" (SZ), Bodo Hechelhammers Biografie über den "Fix und Foxi"-Verleger Rolf Kauka (SZ), Bella Mackies Krimi "How to Kill Your Family" (TA), Bertrand Galics und Paul Echegoyens Comicadapaption von "Gullivers Reisen" (Tsp) sowie Karin Boyes "Sämtliche Gedichte" (FAZ).
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Stichwörter: Strunk, Heinz

Architektur

Das Berliner Architekturbüro Stab soll die im 19. Jahrhundert von dem Architekten Heinrich Hübsch entworfene Karlsruher Kunsthalle umbauen und erweitern, die Kisten werden schon gepackt, obwohl die Genehmigung der Landesbauverwaltung noch nicht vorliegt -  und die Denkmalpfleger sind über das Vorhaben entsetzt, berichtet Dankwart Guratzsch in der Welt. Das Amtsgericht auf der anderen Straßenseite soll ausziehen, die Gebäude durch Untertunnelung verbunden werden: "Mit zusammengestückelten unausgegorenen Lösungen ist hier kein Staat zu machen. Dass offenbar nicht einmal der Anspruch besteht, einen großen Wurf zu wagen und ein dem Bauwerk von Hübsch angemessenes, die Stadt schmückendes, architektonisch bedeutendes Gesamtergebnis zu erzielen, ist fast schon ein Skandal. Von großem Atem ist da nichts zu spüren, eher von kleinmütigem Gezerre und Geschacher um Quadratzentimeter Museumsfläche, und das alles bei horrenden Kosten und unsicherem Ausgang." Guratzsch plädiert stattdessen für die Idee des Architekten Hans Kollhoff, der einen Neubau im Stile von Hübsch vorschlägt.
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Bühne

Noch ein Kollektiv: Auf Yvonne Büdenhölzer als Leiterin des Berliner Theatertreffens folgen vier Frauen, meldet unter anderem der Tagesspiegel: "Zum Quartett gehören die ukrainische Theaterregisseurin Olena Apchel, die Produktionsleiterin Marta Hewelt, die Dramaturgin Carolin Hochleichter und die polnische Kulturmanagerin Joanna Nuckowska." Matthias Pees, neuer Intendant der Berliner Festspiele hat per Pressemitteilung zudem verlauten lassen, die Leitung solle "die Zusammenarbeit mit der Kritiker:innen-Jury gemeinsam" koordinieren.

Nachtkritiker Christian Rakow horcht auf: Die Inszenierung des Theatertreffens "werden bekanntlich in einem aufwändigen Sichtungsprozess von einer unabhängigen Jury aus sieben umherreisenden Kritiker:innen ausgewählt. Koordiniert wurde mit dieser Jury bis dato gar nichts, allenfalls wurde ihre Arbeit im Rahmen der Statuten organisiert. Theatertreffenleitung bedeutete inhaltlich: mit dem Unvorhergesehenen umzugehen, also das Tableau an Gastspielen zu programmieren und zu kontextualisieren, was die sieben betriebsfremden Köpfe in langwierigen Diskussionen für bemerkenswert befinden. (…) Eine Kritiker:innenjury ist eine Vertretung des Publikums, eine Stimme der Öffentlichkeit. (…) In einer Theaterlandschaft, in der nahezu alle Festivals aus dem Kunstbetrieb heraus kuratiert werden, ist diese externe Jury-Position die eigentliche Besonderheit und der Grund für die herausgehobene Stellung des Berliner Theatertreffens." Hoffentlich bleibt dem Theatertreffen sein "Markenkern" erhalten, bangt auch Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung.

Das Theater steckt in der Krise, nicht erst seit der Corona-Pandemie, aber nun umso mehr, konstatieren die Landestheaterintendanten André Nicke und Thorsten Weckherlin in einem Brandbrief in der nachtkritik. Die Zuschauer bleiben weg, die Spielpläne mussten dauernd geändert werden - und nun hat der Arbeitgeberverband der deutschen Theater einen Tarifvertrag abgeschlossen, "der die Mindestgage in zwei hohen Stufen exorbitant steigert" (Unser Resümee), klagen sie: "Für die meisten Theater heißt das aufgrund der stagnierenden oder sinkenden Zuschüsse heute schon, dass sie als nötige Konsequenz ganz konkret Personalabbau in markanten Größenordnungen planen müssen und damit - im wahrsten Sinne des Wortes - die letzten Spielräume aufgeben. Das heißt, die Theater, die ohnehin immer schon am Limit produziert haben, um möglichst viele Zuschauer:innen interessieren zu können, müssen zukünftig weniger produzieren und weniger spielen."

Außerdem: Für die Zeit hat Samiha Shafy die russische Balletttänzerin Olga Smirnova getroffen, die bereits im März per Telegram den Krieg Russlands verurteilt hatte, darauf das Moskauer Bolschoi Theater verließ und an die Amsterdamer Kompanie Het Nationale Ballett wechselte: "In den russischen Staatsmedien wurde ihr plötzliches Verschwinden weitgehend totgeschwiegen. Vereinzelte Meldungen gab es, in denen stand, sie habe sich 'negativ' über Russland geäußert; wegen der Zensur erfuhren ihre Landsleute nicht mehr." Im Tagesspiegel berichtet Corina Kolbe vom Opernfestival in Verona, wo neben ukrainischen auch russische Sänger auftraten. In der Zeit schreibt Peter Kümmel einen Nachruf auf den britischen Theaterregisseur Peter Brook. Besprochen werden die Bad Hersfelder Festspiele in der Stiftsruine: "Notre Dame" (FR) und Peter Konwitschnys Inszenierung "Die Nase" bei den Internationalen Schostakowitsch-Tagen in Gohrisch (FAZ).
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Musik

Im VAN-Magazin berichtet Alexander Gurdon ausführlich von seiner Reise ins sächsische Gohrisch. Der Kurort ist zwar "kein Mekka der klassischen Musik", aber eine Perle schlummert dort eben doch: das alljährlich in einer umgebauten Scheune abgehaltene Schostakowitsch-Festival, bei dem der Kritiker aus dem Schwärmen kaum mehr hinaus findet. Unter anderem spielte der ukrainische Pianist Valentin Silvestrov. "Er spielt, als würde er nur mit den Fingern ein schweres, Foucaultsches Pendel in der Bewegung halten. Bis sich plötzlich während seines Stücks die Aufmerksamkeit im Raum verändert. Mitten in die Klänge hinein erhebt sich eine Frau, lautlos, in einer der ersten Reihen. Nach und nach folgen ihr weitere. Kaum hörbar, wie von einem Fernorchester gespielt, hatte Silvestrov angefangen, die ukrainische Hymne in sein Werk einzuweben. Je mehr es hören und erkennen, desto mehr erheben sich, das Pianissimo und die lautlose Solidarität sind wie mit den Händen greifbar. Wie einzelne Monolithen stehen wir hier, in einer Scheune im Nirgendwo, protestierend und hilflos gleichermaßen, und dennoch könnte diese Szenerie kaum intensiver sein."

Nick Cave und Warren Eliis

Dokus über Nick Cave bilden mittlerweile ein eigenes Genre. Mit "This Much I Know to Be True" fügt der Filmemacher Andrew Dominik dem einen weiteren Film hinzu. Nur dass diesmal auch Warren Ellis in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt, der Cave seit vielen Jahren künstlerisch zur Seite steht. SZ-Kritiker Josef Wirnshofer sah "das Porträt zweier Künstler, den Versuch auszuleuchten, was sich kaum ausleuchten lässt: die Freundschaft zweier Menschen", die in einer Fabrikhalle an einem Pandemie-Konzert vor Videokameras arbeiten. "Der eine, Cave, hockt aufgeräumt am Flügel, das Sakko mit zarten Streifen. Der andere, Ellis, ist umzingelt von Effektgeräten, Verstärkern, seiner Geige. Der Bart umwächst ihn wie das Moos den Baum, und tatsächlich würde es einen nicht wundern, wenn sich eine Krähe auf ihm niederließe. Der eine, Cave, kommt vom Blues, vom Punk und vom Rock'n'Roll. Der andere, Ellis, hat sich erst mal die Klassik draufgeschafft, Beethoven und Strawinsky, um sie danach einzureißen und aus den Trümmern seine eigene Welt zu zimmern. Ordnung und Chaos. Schöpfung und Zerstörung. Das eine nicht ohne das andere."

Weitere Artikel: Marc Savage meldet bei der BBC, dass drei postum veröffentliche Songs von Michael Jackson von Streamingdiensten genommen wurden, da es Zweifel daran gibt, ob diese Songs wirklich von Jackson eingesungen wurden. Das VAN-Magazin spricht mit der Bratschistin, Sängerin und Komponistin Flora Marlene Geißelbrecht. In seiner VAN-Reihe über Komponistinnen schreibt Arno Lücker in dieser Woche hier über Marta Valdés und dort über Ida d'Fonseca. Wendelin Bitzan schreibt für VAN einen Nachruf auf den Musikwissenschaftler Richard Taruskin. Im Neue-Musik-Feature des Dlf Kultur widmet sich Carolin Naujocks dem Komponisten Juan Allende-Blin.

Besprochen werden eine Neuauflage von Bill Evans' Album "You Must Believe in Spring" (Standard) und neue Klassikveröffentlichungen, darunter einige Aufnahmen aus einem ambitionierten Projekt, Haydns mehr als 100 Sinfonien in einer Gesamtedition zu bündeln (SZ). Außerdem bringt das Logbuch Suhrkamp die 105. Folge von Thomas Meineckes "Clip//Schule ohne Worte":

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