Efeu - Die Kulturrundschau

Komplexität mit Linienrasanz

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13.02.2019. Bis Klaus Lederer einen diversen Castorf-Nachfolger gefunden hat, bleibt Klaus Dörr noch Interims-Intendant an der Volksbühne, freut sich der Tagesspiegel. Und das, obwohl es hinter den Kulissen ziemlich brodelt, fügt die SZ hinzu. Wenn sie niedliche Kunst geboten bekommen, gehen Japaner auch ins Museum, weiß die SZ nach einem Besuch im Yayoi-Kusama-Museum. Die taz schildert, wie Matteo Salvini einen italienischen Sänger aufgrund seiner nordafrikanischen Herkunft attackiert. Und der Tagesspiegel lernt, dass die Wurzeln des Bauhauses in einer japanischen Teetasse liegen.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 13.02.2019 finden Sie hier

Kunst

Bild: Pumpkin. 2015. Yayoi Kusama.

Avantgarde-Kunst ist eine "Nischenveranstaltung" in Japan, schreibt Christoph Neidhart in der SZ - aber das von der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama in Tokio eröffnete und mit ihren Arbeiten bestückte Museum erfreut sich größter Beliebtheit, so Neidhart weiter, den das wenig wundert. Ihre Arbeiten, etwa die gepunkteten Kürbis-Skulpturen werden entgegen der Intention der seit 1977 in einer Nervenklinik lebenden Künstlerin als "kawai", also niedlich, wahrgenommen, so wie es Japaner lieben: "Die noch immer sexistische Gesellschaft erwartet von der Japanerin, dass sie sich bemüht, 'kawaii' zu sein, selbst als rebellische Künstlerin oder harte Geschäftsfrau. Dafür dürfen Frauen auch als Erwachsene kindlich juchzen, wenn sie ein Häschen oder ein Katzenbaby sehen. Manche Experten wie die britische Japanologin Sarah Parson machen den Kawaii-Kult dafür mitverantwortlich, dass Japan die Frauen stärker diskriminiert als einige islamische Länder."

Bild: Die Madonna mit dem Kaninchen, um 1530. Tizian

Einfach überwältigt ist Stefan Trinks in der FAZ von der Schau "Tizian und die Renaissance" im Frankfurter Städel, die ihm den ganzen Zauber des venezianischen "Farbmagiers" vor Augen führt: "Das nackte Fleisch im Akt-Saal vibriert, atmet und zwingt noch hundert Jahre später Rubens zur übertreffenden Nachahmung. Der über Achtzigjährige schließlich wirft die Farbe wie Pollock auf die Leinwand, er verreibt sie großräumig mit den Fingern, er spachtelt Wände aus Bleiweiß und reißt sie wieder auf. So lässt der alte Meister auch wie ein aufrichtiger Dorian Gray Haut, Fleisch und Farbe seines gemalten Personals mitleidlos mitaltern."

Weitere Artikel: Die Dauerleihgabe der Sammlung Batliner an die Albertina wurde bis 2027 verlängert, wie es danach weitergeht, ist ungewiss, schreibt Olga Kronsteiner im Standard. Ungeklärt ist nach wie vor auch auch die Frage, ob die Sammlung von Hermann Batliner, dessen Kanzlei auch das Vermögen von Kriminellen und Diktatoren verwaltete, durch Steuerhinterziehung und Geldwäsche finanziert wurde, so Kronsteiner weiter. In der NZZ erzählt Judith Basad, wie Oskar Kokoschkas Bilder durch Versteigerungen der Nazis nach Basel und sein literarischer Nachlass nach seinem Tod in die Zürcher Zentralbibliothek geriet.

Besprochen werden die Ausstellung "Konkrete Gegenwart" im Zürcher Haus Konstruktiv (NZZ), eine Ausstellung mit frühen Arbeiten von Diane Arbus in der Londoner Hayward Gallery (Guardian), eine Ausstellung in einem Berliner Abrisshaus, in dem die Mieter gegen Gentrifizierung protestieren (monopol-magazin), die Kunstschau "Desert X" im Coachella Valley rund um Palm Springs, die sich für Naturschutz einsetzt (Dlf), die Ausstellung "Hugo Pratt, lignes d'horizons" im Musee des Confluences in Lyon den Einflüssen von Stammeskunst auf dessen Comics nachspürt (FAZ).
Archiv: Kunst

Bühne

Der Vertrag des Interims-Volksbühnenintendanten Klaus Dörr wird bis zum Sommer 2021 verlängert. Ist doch ok, meint Frederik Hanssen im Tagesspiegel - bis Klaus Lederer seinen nach eigenen Angaben "jüngeren, diverseren, weiblicheren" Super-Nachfolger für Castorf gefunden hat, macht Dörr seine Sache gut, so Hanssen: "Klaus Dörr hat bislang beste Arbeit geleistet, im zweiten Halbjahr 2018 verzeichnete die von Chris Dercon leer gespielte Volksbühne bereits wieder eine Auslastung von 80 Prozent. (...) In dieser Saison werden Stars wie Sasha Waltz, Constanza Macras und Stefan Pucher an der Volksbühne arbeiten."

Hinter den Kulissen sieht es allerdings anders aus, weiß Peter Laudenbach in der SZ: "Vergangene Woche beschwerten sich mehrere Abteilungsleiter bei Kultursenator Lederer über Dörrs Amtsführung. Ihr Vorwurf: Der Intendant sei im Umgang recht autoritär und nicht besonders dialoginteressiert. Er lege ein übertriebenes Kontrollbedürfnis an den Tag und lasse es an der nötigen Wertschätzung fehlen. 'Wir werden behandelt wie Dienstleister, nicht wie Partner', sagt ein langjähriger Technikmitarbeiter gegenüber der Süddeutschen Zeitung. 'Das sorgt auf Dauer für eine Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität. Das ist am Theater tödlich. Eigentlich sind wir eigenverantwortliches Arbeiten gewohnt. Die Stimmung am Haus ist derzeit ziemlich gedrückt.'"

Weitere Artikel: Wie man leise und vorbildlich restituiert, lernt Susanne Hermanski in der SZ im Deutschen Theatermuseum in München, das Zeichnungen zum Nürnberger Schembartlauf nach eingehender Provenienzforschung an die Erben des jüdischen Kunsthändlers Siegfried Lämmle zurückgab und sie zum Dank abkaufen durfte. Ihrer Freundin oder Nichte würde Lilo Weber in der NZZ die Schweizer Tanztage nicht zumuten, denn: "Ein großer Teil der freien Schweizer Tanzszene hat sich vor Jahren von Tanz und Choreografie als Bewegungskunst im Raum losgesagt und pflegt seither das, was man als 'No Dance', Konzept-Tanz oder Performance bezeichnet. Das hat den Vorteil, dass auch nicht professionell ausgebildete Tänzerinnen und Tänzer mitmischen können - und an Fördergelder aus dem Tanztopf kommen."

Besprochen werden Wolfram Hölls "Disco" am Schauspiel Leipzig (SZ), Laurent Pellys "Lucia di Lammermoor" an der Wiener Staatsoper (FAZ), David Dawsons Choreografie "Requiem" im Amsterdamer Nationalballett (FAZ).
Archiv: Bühne

Musik

Nach dem Sieg des Sängers Alessandro Mahmood beim Schlagerfestival in Sanremo ließ es sich Italiens Rechtsaußen-Innenminister Matteo Salvini nicht nehmen, auf Twitter Gift zu spritzen, berichtet Michael Braun in der taz. Nur noch erbärmlicher und vorvorgestriger wirkt Salvinis Attacke vor dem Hintergrund der Faktenlage: "Der junge Musiker hat eine italienische Mamma, die aus Sardinien stammt, und er spricht ein astreines Italienisch mit Mailänder Akzent", erklärt Dominik Straub im Standard. "Alessandros Problem ist der Papa: Der ist Ägypter. Mit dem Vater ist Mahmood zwar derart verkracht, dass er seit Jahren keinen Kontakt mit ihm hat. Aber im heutigen Italien ist die nordafrikanische Herkunft des Erzeugers ein Problem." Hier Mahmoods Auftritt:



Weiteres: Maxime Weber erklärt in der taz, warum immer mehr Indie-Bands ihre Videos mit der obsoleten Videokamera ihrer alten Spielkonsole filmen (hier ein Beispiel). In der Spex resümiert Denis Pohl die Grammys, die in diesem Jahr so divers wie nie zuvor waren. Im "Unknown Pleasures"-Blog des Standard erinnert Karl Fluch an Junior Parker.

Besprochen werden Ariane Grandes neues Album "Thank U, Next" (taz), Dendemanns Frankfurter Auftritt (FAZ), neue Popmusik, darunter das neue Album der seit den 90ern in 80er-Nostalgie gefangenen Band Ladytron (SZ), und neue Klaviermusik, darunter "Songs Of The Degrees" des Yaron Herman Trios, dem es darauf gelingt, "Komplexität mit Linienrasanz zu verschmelzen." (Standard). Ein kleiner Eindruck daraus:

Archiv: Musik

Literatur

Jan Kedves erklärt in der SZ, warum KiWi den deutschen Titel von Joseph Cassaras Roman "The House of Impossible Beauties", der vom Zusammenhalt der queeren New Yorker Szene der 80er erzählt, in letzter Minute von "Das Haus Xtravaganza" zu "Das Haus der unfassbar Schönen" geändert hat: Das queere, aus dem Dokumentarfilm "Paris is Burning" bekannte New Yorker "House Xtravaganza" störte sich am ursprünglichen Titel, "denn er könnte die Vermutung nahelegen, das Buch beschreibe die wahre Geschichte des House of Xtravaganza. Dem ist nicht so. Obwohl seine Figuren so heißen wie Mitglieder, die es im House of Xtravaganza tatsächlich einmal gegeben hat."

Weitere Artikel: Elfriede Jelinek protestiert mit einem Text gegen die Sozialpolitik der österreichischen Regierung, melden Standard und die Presse. Die Dichterin Tua Forsströms rückt auf den Posten der aus der Schwedischen Akademie zurückgetretenen Katarina Frostenson nach, meldet die NZZ mit dpa. Für die taz hat Jan Jekal Takis Würgers Berliner Lesung aus seinem Roman "Stella" besucht.

Besprochen werden unter anderem Jonathan Lethems "Der wilde Detektiv" (NZZ), Aura Xilonens Boxer- und Immigrantenroman "Gringo Champ" (Standard), Katharina Mevissens Debütroman "Ich kann dich hören" (SZ) und Christina Hesselholdts "Gefährten" (FAZ).

Außerdem frisch: Thomas Wörtches Leichenberg mit aktuellen Krimi-Empfehlungen.
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Film

Angela Schanelecs "Ich war zuhause, aber"
Der sechste Berlinale-Tag im Rückblick: Endlich wahre Filmkunst: Alle schwärmen von Angela Schanelecs "Ich war zuhause, aber" - mit einer prägnanten Gegenstimme. Altmeisterlich geht es derweil in Anatolien zu. Und die neueste Saviano-Verfilmung hypnotisiert den einen und langweilt die Andere. Die NZZ fühlt sich unterdessen vom Festival unangenehm umerzogen.

Abseits der Berlinale: Philipp Stadelmaier bespricht für die SZ Naomi Kawases "Die Blüte des Einklangs" mit Juliette Binoche und Masatoshi Nagase. Die Filmemacherin "filmt eine Begegnung zweier Menschen, die sich von der Liebe fast schon zurückgezogen haben und sie hier noch einmal neu entdecken. Sie bewegen sich ungestüm, ungeschickt, wie beim ersten Mal."

Besprochen werden außerdem Robert Rodriguez' Science-Fiction-Film "Alita" (ZeitOnline) und David Schalkos Serien-Remake von "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" mit Udo Kier (ZeitOnline).
Archiv: Film

Design

Teekanne, um 1879 von Christopher Dresser entworfen. Bild: Chris 73 / Wikimedia Commons.
Dass die Wurzeln des Bauhauses in einer japanischen Teekanne liegen, erfährt Simone Reber im Tagesspiegel in der Ausstellung "Von Arts and Crafts zum Bauhaus" im Bröhanmuseum: "Schon vierzig Jahre vor der Bauhaus-Gründung entdeckten die britischen Designer Edward William Godwin und Christopher Dresser die Reduktion japanischer Formen. 1853 hatte Japan seine Isolationspolitik beendet, damit tauchte japanisches Kunsthandwerk in den britischen Hafenstädten auf. Die Designer erkannten darin einen Ausweg aus dem Trend zu überbordendem Dekor, der noch die Industrieausstellung 1851 in London beherrscht hatte. Dresser reiste selbst nach Japan. Danach entwarf er nicht nur die perfekte Teekanne. Im Bröhan-Museum ist auch ein Löffelwärmer zu sehen - ein versilbertes Ei mit Henkel. Noch so eine unübertroffene Form, die Einfachheit mit dem Stand der Technik verband."
Archiv: Design
Stichwörter: Bauhaus, Commons