
31.12.2009 Glücksspiel ist der Ursprung des Kapitalismus, aber auch der sich nach allen Seiten absichernde Versicherungsmathematik, lernt die FAZ aus Keith Devlins
"Pascal, Fermat und die Berechnung des Glücks". Von Dieter Niemeyer lässt sie sich erzählen, wie eine Familie mit Aids lebt. Die FR begibt sich in Feridun Zaimoglus "Hinterland" und kommt leicht verknotet, aber doch ganz glücklich wieder raus.

30.12.2009 Die FAZ goutiert Corrado Augias' "Geheimnisse Roms" jedenfalls mehr als die FR Sarah Khans "Gespenster von Berlin" - oder genauer: Diese Gespenster kommen dem Rezesenten manchmal doch bedenklich nah. Für die Zeit bespricht Friedrich Wilhelm Graf die große "Geschichte der Reformation" von Thomas Kaufmann. Die NZZ feiert Patrick Leigh Fermors klassische karibische Reisereportage "Der Baum des Reisenden".

29.12.2009 Ein echtes Ereignis feiert die SZ: Die Edition von Jacob Burckhardts gewaltiger "Geschichte des Revolutionszeitalters", die sie ein Staunen lehrte, das sich zum Schaudern steigerte. Die FR lobt Reinhard Kaiser-Mühleckers Roman "Magdalenaberg" als zutiefst österreichisch, nur ohne Schimpftiraden. Für die NZZ geht Dagmar Leupolds gewagter Roman "Die Helligkeit der Nacht" bestens auf. Und die FAZ liest mit nach nachlassender Begeisterung Dietmar Daths neuesten Roman "Sie schläft".

28.12.2009 Die FAZ liest die "Ausgewählten Briefe" der sehr großen und sehr zerrissenen
Reporterin Martha Gellhorn (hier unsere
Leseprobe). Anregend findet sie auch
Wolfram Wettes neues Buch über den "Militarismus in Deutschland". Die FR ergründet mit
Ulrich Thielemann den "System Error" des
menschenunfreundlichen Kapitalismus. Die SZ empfiehlt noch einmal nachdrücklich
Laszlo Földenyis Kertesz-Wörterbuch "Schicksallosigkeit".

24.12.2009 Als Weihnachtslektüre etwas spät, trotzdem sehr nachdrücklich preist die NZZ Swetlana Geiers grandiose und so frische Neuübersetzung von Dostojewskis "Der Spieler". Sehr intensiv setzt sie sich auch mit Nabokovs Kommentar zu Puschkins "Eugen Onegin" auseinander. NZZ und FAZ sind hingerissen von Friederike Mayröckers Gedichten "dieses Jäckchen (nämlich) des Vogel Greif", deren Sprache ganz wunderbar klirrt und flimmert und vibriert. Auf ein geteiltes Echo stößt Barbara Hoffmeister bei FAZ und SZ mit ihrer Biografie des Verlegers S. Fischer, der heute vor 150 Jahren geboren wurde - und mit Vorliebe internationale Autoren herausgab, auf deren Werken kein Copyright lag.

23.12.2009 Ihre helle Freude hat die FAZ an Serhij Zhadans "Hymne der demokratischen Jugend", die alle ukrainischen Schlitzohr-Klischees auf die Spitze treibt. Sehr plausibel erscheint der NZZ, wie Diane Meur in "Die Lebenden und die Geister" die Geschichte einer galizischen Familie erzählt - aus der Sicht des Gutshauses. Die SZ besinnt sich mit G.K. Chesterton.

22.12.2009 Die FAZ reibt sich vor Freude die Hände über Peter Henischs Roman "Der verirrte Messias", den sie besonders zu dieser Jahreszeit empfehlen kann. Mitgerissen hat sie auch Edna Mazyas Roman "Über mich sprechen wir ein andermal". Als wuchtig, finster und schwindelerregend preist die NZZ Yiyun Lis Roman über die Kulturrevolution "Die Sterblichen". Die SZ erlebt mit Vladimir Nabokovs Kommentar zu Puschkins "Eugen Onegin", wie Literatur aus Literatur hervorgeht. Und die FR liest Ror Wolf.

21.12.2009 Die SZ lernt von Bragi Olafsson Roman "Der Botschafter", was für ein hartes Pflaster Island für Lyriker ist. Schaurigschön findet sie, wie John Cheevers mit dem "Schwimmer" das Ungeheure in die amerikanische Ostküsten-Idylle einbrechen lässt. Die FAZ bewundert die Nüchternheit und Lakonie, mit der Jerzy Bielecki in seinen Memoiren von Auschwitz erzählt. Und die taz versinkt in dem 2500 Jahre umfassenden Reportagenband "Nichts als die Welt".

19.12.2009 Hellerfreut ist die SZ von Henry James' Erzählungen "Benvolio", die bisher nicht in deutscher Übersetzung vorlagen. Die taz ist ganz verzaubert von Urs Widmers burleskem Roman "Herr Adamson". Mit Freude nimmt die FAZ Ulrich Bechers wiederaufgelegten abgrundtief schwarzen Roman "Murmeljagd" von 1969 auf. Empfehlen kann sie auch die Schriftstellerinnen-Porträts "Leidenschaften". Und der FR aus der Seele spricht Katrin Hartmann, die in "Ende der Märchenstunde" mit der Bionade-Spießeridylle der Lohas abrechnet.

18.12.2009 Als Generalangriff gegen die iranischen Verhältnisse versteht die SZ Amir Hassan Cheheltans radikalen Roman "Teheran Revolutionsstraße". Mit Hans Christoph Buch reist sie "Um die Welt in acht Nächten". Die NZZ preist Osamu Tezukas Manga-Horrorthriller "Kirihito" als Schwellenwerk zu seiner reiferen Phase.

17.12.2009 Einfach nur hinreißend findet die SZ die Schauspielerin (und Godards spätere Frau)
Anne Wiazemsky, die sich in "Jeune Fille" an ihren ersten Film mit
Robert Bresson erinnert (hier eine
Leseprobe). Jean-Michel Palmiers
Benjamin-Biografie lobt sie ebenfalls in den höchsten Tönen (noch eine
Leseprobe). Der Zeit beweist
Alan Pauls mit seinem Roman "Die Vergangenheit", dass es kein philosophischeres Thema als die
Liebe gibt. Die FAZ liest
Tim Davys' Kuscheltier-Krimi mit Tiefgang "Amberville".

16.12.2009 Die FAZ schluckt ein bisschen schwer an Palmi Ranchevs Geschichten "Ein bisschen Glück für später", die hart am bulgarischen Alltag entlang erzählen: Hier gibt es nur Verlierer. Geistvoll und ertragreich findet die NZZ Felix Philipp Ingolds russische Kulturgeschichte "Die Faszination des Fremden". Die FR rühmt B. K. Tragelehns knorrige Shakespeare-Übersetzung "Maß für Maß".

15.12.2009 Die NZZ freut sich über eine neue Übersetzung von Gunnar Gunnarssons schicksalhafter Kriminalgeschichte "Schwarze Vögel". Ins Schwärmen gerät sie über Durs Grünbeins Essays "Die Bars von Atlantis". Die FAZ lässt sich von Charlotte Birnbaum auf den Geschmack von Pasteten bringen, gern auch mit Marzipan und Pfauhoden gefüllt. Als Manifest gegen die Fahrlässigkeit liest sie Bernard Stieglers Schrift "Von der Biopolitik zur Psychomacht".

14.12.2009 Die FR empfiehlt sehr Johann Lippets "Das Leben einer Akte", in dem der rumäniendeutsche Lyriker von der Lektüre seiner Securitate-Akten berichtet. Sehr gut gefallen hat der SZ Roman Grafs "Herr Blanc", in dessen Leben erst gar nichts, dann 45 Jahre lang fast nichts passiert. Die FAZ liest Salamon Dembitzers beklemmende Flüchtlingsgeschichte "Visum nach Amerika" und Alexander Demandts Biografie Alexander des Großen.

12.12.2009 Als wahre Schatzhöhle preist die begeisterte FAZ die Marcel-Proust-Enzyklopädie von Luzius Keller. Mit großem Interesse liest sie auch die gesammelten journalistischen Schriften des Gossenliteraten Jörg Fauser. Die taz lässt sich am Beispiel Venedig die Eskalation der Globalisierung erklären. Und die FR klappt enttäuscht eine Biografie des großen Verlegers S. Fischer wieder zu.

11.12.2009 Merde pour la poesie: Die FAZ freut sich sehr über Ulrich Horstmanns Buch "Die Aufgabe der Literatur", dass den literarischen Verweigerern von Rimbaud bis Koeppen ein Denkmal setzt. Als Einführung in die Phänomenologie kann die SZ Lambert Wiesings "Das Mich der Wahrnehmung" sehr empfehlen.

10.12.2009 Die Zeit bekennt sich zu ihrer Tolstoi-Sucht, die Rosemarie Tietze mit ihrer Neuübersetzung der "Anna Karenina" noch verschlimmert hat. Höchstes Lob erhält auch Michael Tomasellos Studie über "Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation". Entdeckerlust weckt bei der FAZ Carl Heinrich Mercks "Sibirisch-amerikanisches Tagebuch aus den Jahren 1788-1791", und auch Milena Wazecks Studie über "Einsteins Gegner" kann sie empfehlen. Die SZ preist Michael Maars Buch "Proust Pharao".

09.12.2009 Sehr spannend und sehr überzeugend findet die NZZ Mark Mazowers gesamteuropäischen Beschreibung von "Hitlers Imperium". Sehr instruktiv findet die FAZ William Polks "Aufstand", und von Willa Cathers Roman "Schatten auf dem Fels" lässt sie sich gern ins Quebec des 17. Jahrhundert versetzen. Die SZ liest F.C. Delius' Roman über Konrad Zuse "Die Frau, für die ich den Computer erfand".

08.12.2009 Die NZZ feiert Eileen Changs bitter-intensiven und sehr sarkastischen Roman über das China der Bodenreform "Das Reispflanzerlied". Empfehlen kann sie auch Juri Andruchowytschs gesammelte Gedichte "Werwolf Sutra". Gern gefallen lässt sich die SZ William Boyds Krimi um einen Klimaforscher im Kampf gegen die Pharma-Industrie "Einfache Gewitter". Für die heute erschienenen Beilagen von SZ und FR werden wir noch einige Tage brauchen.

07.12.2009 Als Buch zum Volksentscheid empfehlen heute SZ und FAZ den schnörkellos-aufklärerischen Band "Moscheen in Deutschland" von Bärbel Beinhauer-Köhler und Claus Leggewie. Sehr spannend findet die SZ auch Marc Hujers Biografie von Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger. Die FAZ liest außerdem noch einmal den Gedichtband "Monovassia" von Jannis Ritsos.

05.12.2009 Ganz großer Gesellschaftsroman über die Bonner Republik, ruft die FAZ nach Lektüre von Jochen Schimmangs "Das Beste, was wir hatten". Die NZZ liest sich vergnügt durch drei Bücher aus der Oulipo-Werkstatt, darunter Georges Perecs hinreißende Geschichte "Über die Kunst seinen Chef anzusprechen und ihn um eine Gehaltserhöhung zu bitten". In der taz liest Detlev Claussen ein ganz hervorragendes Buch zur Globalisierungskritik: "Vom Imperialismus zum Empire".

04.12.2009 Als Monument der Kulturgeschichte preist die FR den Briefwechsel zwischen Siegfried Unseld und Thomas Bernhard, wobei letzterer eine eher unrühmliche Rolle übernimmt: die der armen Sau, die sich immer wieder wie ein Schwein verhält. Die FAZ stellt Nuruddin Farahs neuen Somalia-Roman "Netze" vor. Die SZ liest Paul Beattys Berlin-Buch "Slumberland" und erlebt mit Chen Jianghong die Kulturrevolution "An Großvaters Hand".

03.12.2009 Verstörende Erkenntnismomente verdankt die Zeit Maxim Billers Selbstporträt "Der gebrauchte Jude". Außerdem fällt ihr auf, wie verliebt Peter Sloterdijk in seinen "Philosophischen Temperamente" über Sartre schreibt. Die FAZ lernt aus Bartholomäus Grills afrikanischen Fußballreportagen "Laduuuuuma!" von der magischen Kraft verdorrter Pavian-Arme. Die NZZ stellt Radka Denemarkovas Roman "Ein herrlicher Flecken Erde", der offenbar kein historisches Tabu unberührt lässt. Die SZ ist entzückt vom boshaften Witz in Fredinando Galianis "Nachrichten vom Vesuv".

02.12.2009 Die SZ liest mit ungebrochener Faszination Aribert Reimanns Biografie des antisemitischen Spontis Dieter Kunzelmann. Enorme Begabung bescheinigt sie Patrick Hofmann für seinen sinnenfrohen Debütroman "Die letzte Sau". Mit Interesse liest die FAZ die anthropologische Studie "Heimat Mensch" von Christoph Antweiler, die gegen den Kulturrelativismus die Universalien stellt, die alle Kulturen eigen sind.

01.12.2009 Die SZ lernt in dem Briefwechsel von Rilke mit Eva Cassirer eine Mäzenin kennen, die Bewunderung nicht blind machte. Paul Veynes Buch über die "Kunst der Spätantike" empfindet sie als Wohltat, räumt er doch endlich auf mit dem Vorurteil von einer stilistisch verkümmerten Epoche. Die FR wandert mit Gerhard Roth durch Wien. Die FAZ forscht mit einem Koch nach Spuren des Menschenhandels im Londoner "Hotel Imperial". Die NZZ durchlebt das 20. Jahrhundert mit der Familie Mirski in "Moskau. Bel Etage".